Die Steinernen Drachen (German Edition)
Hörer. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt?“
Sofort drängte sich ihm die Vermutung auf, dass der Anwalt wusste, dass er gerade aufgestanden war. Schlagartig war er hellwach und sah sich vorsichtig um. Der Mann an der Bushaltestelle fiel ihm wieder ein. Wann war das? Gestern Nacht? Wurde er beobachtet? Er ging zum Fenster und warf einen Blick auf die Straße.
„Sind Sie noch dran?“, fragte Kham.
„Ja, ja! Entschuldigen Sie! Ihr Anruf kam nur etwas überraschend. Hatten wir nicht vereinbart, dass ich mich melde, sobald ich etwas weiß?“
„Nun, möglich. Verzeihen Sie meine Ungeduld, aber Sie kennen den Ernst der Lage. Ist Ihnen denn schon etwas zum Verschwinden unserer gemeinsamen Bekannten eingefallen?“
„Tut mir leid, bisher kann ich Ihnen nicht mehr sagen als gestern. Aber ich bin dran oder, um es in Ihren Worten zu sagen, ich gehe in mich.“
„Schön! Das freut mich! Dürfte ich Sie nochmals bitten, die Sache mit äußerster Diskretion anzugehen! Es wäre nicht gut für dieses heikle Unterfangen, wenn wir zu viele Mitwisser hätten. Kann ich mich in diesem Punkt auf Sie verlassen?“
Frank wurde das Gespräch lästig. Einerseits wollte er die Aussicht auf das versprochene Geld nicht gefährden und weiterhin Kooperation suggerieren. Andererseits wollte er den Asiaten, so rasch es ging, aus der Leitung haben. Er versprach, sich an seine Anweisungen zu halten. Dann täuschte er Kham einen Termin vor, wimmelte ihn ab und legte auf. Noch einmal sah er aus dem Fenster, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Er ertappte sich dabei, dass er das Zimmer nach einer versteckten Webcam absuchte. Das Misstrauen gegenüber dem Anwalt war weiter gewachsen. Es war an der Zeit, mehr über Kham herauszufinden. Er meinte zu wissen, wer ihm diesbezüglich weiterhelfen könnte. Doch zuerst wollte er mit den Chinesen sprechen.
Um Viertel nach zwei stand er vor dem Restaurant. Die Mittagszeit war vorbei und das Mandarin sollte jetzt leer sein. Zu seiner Überraschung war die Vordertür schon abgeschlossen. Sein Versuch, durch die geriffelte Glasscheibe in der Eingangstür etwas zu erkennen, schlug fehl. Er ging weiter zur Tür, von der er wusste, dass sie in die Küche führte. Auch diese war verschlossen, aber dahinter hörte er das Geklapper von Töpfen und
Pfannen. Er überlegte, ob er klopfen sollte, entschied sich aber anders und ging den langen Gang weiter, bis er auf dem Hinterhof stand. Einer der Köche kippte gerade eine Tonne mit Essensresten in einen der Abfallcontainer. Als der Chinese ihn bemerkte, fuhr er erschrocken zusammen und der Kübel fiel in den Container. Der Koch stieß unverständliche Silben aus, während er sich abmühte, den Mülleimer wieder herauszufischen, aber seine Arme waren zu kurz.
Frank ging ihm zur Hand. Als er sich über den Container beugte, strömte ihm ein ekelerregender Geruch entgegen. Er versuchte nicht zu atmen, griff nach der Abfalltonne und drückte sie dem Asiaten in die Hand, der ihn mürrisch anglotzte. Da er nichts bei sich hatte, womit er die fettigen Finger säubern konnte, langte er nach der fleckigen Schürze des Chinesen und wischte sich an ihr ab. Der Koch war so perplex, dass er dies ohne Widerworte geschehen ließ und erst einen Satz rückwärts machte, als seine Finger schon einigermaßen sauber waren.
„Ist Zhong da?“, fragte er. Der Asiat bellte irgendetwas und er vermutete, dass der Mann ihn nicht verstanden hatte. „Z-H-O-N-G“, wiederholte er langsam und betont.
Der kleine Mann blieb unbeeindruckt, drehte sich um und ging. Ohne lang nachzudenken, stapfte er hinterher. In der Flügeltür zur Küche tauchte die Alte auf. Der Koch schlüpfte geschickt an ihr vorbei.
Leas ehemalige Chefin baute sich wie eine trächtige Elefantenkuh vor ihm auf und bremste seinen Vormarsch. Ihre aufgequollenen Backen schoben sich weit vor ihre schwarzen Augen, so dass er sich unwillkürlich fragte, ob sie überhaupt etwas sah. Sie fixierten ihn durch zwei enge Schlitze. Ihr Mund war grellrot geschminkt und bildete einen scharfen Kontrast zu der käsig-fettig glänzenden Haut, auf der sich vereinzelt lange, schwarze Barthaare tummelten. Durch die halb geöffneten Lippen schimmerten ungepflegte, graue Zahnstummel. An ihrem Dreifachkinn klebte ein Reiskorn, das seinen Blick magisch anzog. Sie trug dieselbe Garnitur wie ihre Kellner, allerdings die XXL-Ausführung für die Schwergewichtsklasse. Die weiße Bluse war unter den Ärmeln durchgeschwitzt und der
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