Die Steinernen Drachen (German Edition)
Gedanken schossen ihm durch den Kopf und er konnte nicht einschlafen. Ihr Geruch, ihre Bewegungen und die sanften, unbeabsichtigten Berührungen ihrer Körper reizten immer wieder seine Libido. Doch er wagte es nicht,
seine Hand nach ihr auszustrecken und sie zu streicheln. Obwohl sie direkt neben ihm lag, schien sie unendlich weit entfernt und unerreichbar. Erst lange nach Mitternacht übermannte ihn der Schlaf.
Der Chinese schweigt
28. Juni 2003
Er träumte von Lea. Sie trug ihre Kellnerinnenuniform und die rote Jacke leuchtete im scharfen Kontrast zu den grauen Felsformationen, die sie umgaben. Sie war außer Atem, lief vor etwas davon. Ihre Füße steckten in einfachen Ledersandalen, ungeeignet für den steilen Bergpfad, den sie dabei war zu erklimmen. Der steinige Weg schlängelte sich an Abgründen entlang, hoch zu einem gewaltigen Gebirgsmassiv, das zum Teil von bedrohlichen, dunklen Wolken eingehüllt war. Durch die Wolkendecke schimmerten Feuer, als würde der Himmel brennen. Lea wirkte gehetzt, blickte immer wieder über ihre Schulter zurück. Dabei sah er jedes Mal die Angst in ihren Augen. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn und das schwarze Haar klebte an ihrem Kopf. Von den Bergen grollte Donner herab.
Frank träumte sich dicht hinter ihr. Die rote Jacke zog ihn magisch an. Ihm war klar, dass dieses Rot in dem tristen Grau in Grau des Gebirges zu viel Aufmerksamkeit erregte. So wie es ihn leitete, würde es auch ihren Verfolgern als Signal dienen. Er versuchte sie einzuholen, um ihr die rote Jacke auszuziehen, aber er erreichte sie nicht. Seine Beine waren zu schwer oder wurden vom steinigen Untergrund festgehalten wie Eisen vom Magneten. Es gelang ihm nicht, schneller zu gehen. Seine lauten, warnenden Rufe blies der böige Wind davon, sobald sie seinen Mund verließen.
Unermüdlich stieg sie den Berg hoch und er hinterher, schreiend, erschöpft und verzweifelt. Alle paar Meter drehte sie sich um, schien ihn aber nicht zu erkennen. Das Gewitter war jetzt direkt über ihnen und all seine Bemühungen, auf sich aufmerksam zu machen, wurden von den dröhnenden Donnerschlägen erstickt. Die Feuerflecken am Himmel wurden größer und es roch nach beißendem Rauch. Sie erreichten einen schmalen Grat, über den stürmisch der Wind pfiff. Schnee wirbelte auf und verschlechterte die Sicht. Tief gegen den Sturm geduckt, balancierte Lea den Grat entlang auf den verschneiten Gipfel zu. Das Unwetter wurde stärker und zwang sie in die Knie, ehe sie das rettende Plateau unterhalb des Gipfels erreichte. Die Feuer am Himmel schmolzen den Schnee, den der frostige Wind sogleich wieder gefrieren ließ. Auf diese Weise vereiste der schmale Bergrücken. Bald würde es unmöglich sein, auf den eisigen Flanken Halt zu finden.
Nur noch schemenhaft konnte er Leas rote Jacke durch das wabernde Schneetreiben ausmachen. Kaum öffnete er den Mund, um nach ihr zu rufen, fuhr ihm der Wind in den Rachen und raubte ihm jeglichen Laut. Mit Entsetzen beobachtete er, wie plötzlich der rote Stoff aufgewirbelt wurde und dann in den unendlichen Abgrund stürzte. Frank fuhr hoch und nahm dabei den schrillen Schrei aus seinem Traum mit in die Wirklichkeit. Er wartete bange drei Sekunden, bis sein Herzschlag wieder einsetzte. Seine Bettdecke lag auf dem Boden. Schweiß glänzte auf seinem Körper und doch fröstelte er. Durch die Jalousien strahlte helles Licht ins Schlafzimmer, was darauf hindeutete, dass es bereits um die Mittagszeit war. Ein Blick auf den Radiowecker bestätigte seine Vermutung. Noch vom Albtraum benommen, wälzte er sich aus dem Bett und musste sich am Bettpfosten festhalten, damit er nicht umfiel – geradeso, als würde der Sturm aus seinem Traum noch an ihm zerren. Obwohl die einfallende Sommersonne und die Hitzewelle d er vergangenen Wochen den Raum schon wieder unangenehm aufheizten, hatte er Gänsehaut. Kalter Schweiß!
Die schneebedeckten Berge kamen ihm wieder ins Gedächtnis und für einen Moment glaubte er, dass noch das Pfeifen des Windes in seinen Ohren hallte. Er versuchte, sich an Einzelheiten zu erinnern, aber der Traum war schon dabei sich aufzulösen. Seine Zunge schmeckte pelzig. Nach Ilkas Abgang hatte er frustriert den teueren Wein in sich hineingeschüttet. Er dankte der Qualität des edlen Tropfens, der ihm die Kopfschmerzen ersparte und ging ins Bad. Gerade als er die Dusche aufdrehte, läutete das Telefon.
„Guten Tag, Herr Grabenstein! Hier spricht Kham“, ertönte es aus dem
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