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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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dunkle Rock hatte braune und grüne Flecken. Sojasoße und Wasabi , mutmaßte er.
    Ihr schwarz gefärbtes Haar war auf dem breiten Schädel zu einem turbanähnlichen Gebilde zusammengesteckt. Der riesige Kopf saß halslos auf ihrem kugelförmigen Körper, der aus drei dicken Wülsten bestand. Ihre kurzen Wurstfinger zierten auffälliger Goldschmuck. Frank versuchte, nicht mehr auf das Reiskorn zu starren. „Ist Zhong da?“, probierte er es aufs Neue.
    „Zhong heude nich“, antwortete sie gereizt. „Zhong heude Midag fei. Abend wieda albeite.“
    Er überlegte. Die Sonne stach gnadenlos in den asphaltierten Innenhof, in dem sich kein Lüftchen regte. Der Fettgeruch aus der Küche vermischte sich mit dem fauligen Verwesungsgestank aus den Müllcontainern. Seine Augen rutschten immer wieder zu dem Reiskorn.
    „Haben Sie was von Lea gehört?“
    Das für unmöglich Gehaltene passierte: Ihre Augen verengten sich noch weiter. Sie machte einen für ihre Statur unerwartet schnellen Schritt auf ihn zu. Er lehnte seinen Oberkörper reflexartig nach hinten – so weit, dass die Dachkante keinen Schutz mehr bot und ihm die glühende Sonne direkt in die Augen stach. Für wenige Sekunden war er blind, sah nur noch bunte Kugeln vor seinen Pupillen tanzen. Trotz aller olfaktorischen Ergüsse im Hof roch er den Schweiß der Alten, der sich mit ihrem fauligen Atem vermischte. Für einen Augenblick erwartete er einen Angriff der Furie. Als er wieder sehen konnte, stand die Alte direkt vor ihm. Noch einen Zentimeter und ihr dicker Bauch würde ihn berühren.
    „Le Ah, wel is das?“, fragte sie mit bedrohlicher Flüsterstimme.
    „Lea arbeitete für Sie und wohnte sogar bei Ihnen“, klärte er sie auf.
    „Le Ah? Ich nich weiß! Le Ah lang fott. Sie jez auch fott! Los, los!“ Sie fächelte mit ihren speckigen Händen, als wollte sie lästige Fliegen verscheuchen, die von ihren Ausdünstungen angelockt wurden.
    Er gab sich nicht so schnell geschlagen. „Sie wissen doch sicher mehr! Stellen Sie sich bloß nicht dumm und lassen Sie die Komödie. Ihr Deutsch ist viel besser als das, was Sie mir hier verkaufen. Ich habe Sie schon anders reden gehört. Also, was wissen Sie über den Verbleib von Lea?“
    „Verschwinden Sie und lassen Sie sich hier nie wieder blicken!“, drohte sie mit frostiger Stimme und nahezu ohne Akzent, „oder ich bemühe mein Personal.“
    „Sie nahmen Lea bei sich auf, sie lebte bei Ihnen. Warum ist sie so plötzlich verschwunden und vor allem wohin? Warum wollen Sie mir nicht weiterhelfen?“
    Die Alte rief etwas auf Chinesisch über ihre Schulter. Ihm wurde klar, dass er verschwinden musste, ehe ein Küchenbeil auf ihn zuflog. Ein irrer Gedanke pflanzte sich in seinen Kopf. Er sah sich auf der Speisekarte des Restaurants stehen. Wie schnell hätte ihn das Küchenpersonal des Mandarin wohl verwurstet, im Wok gegart, als Rindfleisch süß-sauer serviert, seine Knochen zermahlen, zusammen mit dem Rest verkocht und verbacken? Wie rasch wäre er vertilgt und jede Spur seiner Leiche verschwunden? In diesem Hinterhof gab es keine Zeugen. Niemand sah ihn, als er das Restaurant betrat. Trotz der Hitze lief ein Schauer über seinen Rücken. Er entschied sich das Weite zu suchen, ehe einer der Köche dem Ruf seiner Herrin folgte. Ohne sich noch einmal umzudrehen, ließ er die alte Matriarchin stehen.
    Zu Fuß ging er in die Innenstadt, die Bahnhofstraße hinunter, durchs Bankenviertel und dann in die Fußgängerzone. Von seiner Umgebung und den mittlerweile 33 Grad bekam er nichts mit. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und versuchte, die dürftigen Hinweise, die er bisher ausgegraben hatte mit dem zu kombinieren, was er sich selbst zusammenreimen konnte. Er kam zu keinem Ergebnis. Oder anders ausgedrückt: Er kam Lea keinen Schritt näher. Mit den Chinesen war er noch nicht fertig, aber er sah ein, dass er seine Strategie ändern musste. Vor allem musste er Zhong erwischen.
    Ao Zhong, ein Name, der in seinem Gedächtnis haften geblieben war, wenn er auch sonst viel vergessen hatte. Der stiernackige Kellner machte immer den Eindruck, dass er Lea besonders nahestand und spielte sich stets als ihr Beschützer auf. Frank setzte seine Hoffnung darauf, dass dieser Mann mehr wusste. Noch hatte er keine Idee, wie er an ihn herankam, geschweige denn, wie er ihn dazu brachte, das Maul aufzumachen. In Gedanken versunken, steuerte er das Café am Marktplatz an. Im Freien waren alle Tische besetzt. Die Leute drängten sich

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