Die Steinernen Drachen (German Edition)
zusammenhanglose Fragmente, ehe sie seinen Mund verließ. Was blieb, war ein Gestotter, das er besser hinunterschluckte.
Lea erzählte von ihrer Arbeit – von dem, was der Chinese dem Europäer als asiatisches Essen verkauft und wie sehr es sich von dem unterscheidet, was in der Heimat gegessen wird. Sie redete über ihre Arbeitskollegen und von Bekanntschaften, die sie machte, seit sie in Waiblingen lebte, und berichtete von dem zwiespältigen Verhältnis zu ihrer Chefin. Während des Essens zerpflückte sie das Hier und Jetzt und hangelte sich an der Banalität ihres Alltags entlang. Sie erwies sich als Königin der oberflächlichen Kommunikation.
Frank nahm es hin, denn sein Gehirn funktionierte nicht wie sonst. Erst, als er sie nach dem Essen wunschgemäß vor dem Mandarin absetzte und die Tür ins Schloss fiel, überkam ihn die Einsicht wie ein eisiger Regenguss: Wieder konnte er nichts über sie in Erfahrung bringen. Kein Wort über ihre Heimat, ihre Familie und ihre Gründe, warum sie nach Deutschland gekommen war. Nichts über ihre Vergangenheit!
Sie ließ ihn nicht wirklich zu Wort kommen, so als wolle sie verhindern, dass er unangenehme Fragen stellte. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, endlich mehr über Lea zu erfahren, um im Nachhinein festzustellen, dass es ihm trotz seiner ehrgeizigen Anstrengungen nicht gelungen war. Sie hat mich hypnotisiert!
Diese Erkenntnis bereitete ihm Kopfschmerzen. War sie tatsächlich in der Lage, ihn zu beeinflussen? Machte er in ihrem Beisein nur das, was sie wollte? Verhinderte sie so, dass er ihr zu nahe kam? Welche Macht besaß dieses zarte, liebliche Wesen?
In seinem Wagen sitzend, versuchte er, das Gespräch, oder besser den Monolog, den sie während des Mittagessens führten, zu rekonstruieren. War da wirklich nichts? Zuerst erschrak er darüber, an was er sich überhaupt noch erinnern konnte. An ihre Arbeit, Kollegen, Bekannte. Zäh schälte er einen Namen aus seiner Erinnerung: Stefan! Sie hatte von einem Stefan erzählt. Aber ihm fehlten die Zusammenhänge. Er kam nicht dahinter.
Ein lautes Hupen erklang. Davon aufgescheucht, fuhr er herum. Er parkte vor einer Zufahrt, in die ein Kleinlaster einbiegen wollte. Hastig startete er den Motor, zuckelte einige Meter nach vorne und hielt erneut an der Straße – unfähig weiterzufahren. Ratlos strich er sich über die Lippen. Plötzlich war er der festen Überzeugung, dass sie ihn geküsst hatte, bevor sie ausstieg. Sie hat mich hypnotisiert!
Wer ist Stefan? Wann wollen wir uns wieder treffen?« Fragen, immer neue Fragen. Er fühlte sich schrecklich verliebt, sodass es weh tat und gleichzeitig wurde ihm immer unheimlicher zumute. Was für ein Geheimnis verbarg diese Frau?
Er rekapitulierte, was er über sie wusste Sie heißt Lea und kommt aus Laos. Sie ist 23. Sie arbeitet in dem Chinarestaurant und wohnt auch dort. Zusammen mit der Alten. Warum kommt mir das seltsam vor? Warum gelingt es mir nicht, sie über ihre Herkunft zu fragen? Ihr ganzes Auftreten passt nicht zu einer Frau, die in Indochina aufwuchs, zumindest nicht nach meiner Vorstellung. Außerdem übernachtet Lea spontan bei Männern. Inständig flehte er, dass er die Ausnahme war. Warum wollte sie in dieser Nacht bei mir bleiben? Weil sie mich liebt? Sie kennt einen Mann, der Stefan heißt. Wie nahe steht sie diesem Kerl? Warum hat sie mir das auf die Nase gebunden? War das alles?
Telefonat mit Doktor Ngo
29. Juni 2003
Olaf war gnädig. Zuletzt hatte Frank sogar den Eindruck, dass sein Chef nicht einmal bemerkte, dass er für zehn Minuten verschwunden war. Als er von seinem Gespräch mit Zhong in die Bar zurückkam, stand Olaf hinter dem Tresen und bediente beseelt lächelnd die Gäste. Seine Schürze um den Bauch gebunden, machte Lockmann ein zufriedenes Gesicht, was man ihm bei dem zu erwartenden Umsatz an diesem Abend nicht verdenken konnte.
Er löste ihn reumütig ab. Die befürchtete Standpauke blieb aus und er brachte die Nacht ohne weitere Zwischenfälle hinter sich. Wie immer schlief er lang und diesmal gab es keinen Traum, der ihn aus dem Schlaf riss. Während er sein Frühstücksmüsli in sich hineinschaufelte, fiel ihm der Zettel ein, den ihm Horst Schwarz zugesteckt hatte. Ruf diese Frau an. Wenn jemand etwas weiß, dann sie.
Er unterbrach die Fütterung des Raubtiers in seinem Magen und spülte mit Kaffee nach. Dann suchte er nach der Hose, die er gestern trug. Das Durchwühlen sämtlicher Taschen förderte nichts zu Tage.
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