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Die Steinernen Drachen (German Edition)

Die Steinernen Drachen (German Edition)

Titel: Die Steinernen Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Kern
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nicht erinnern, jemanden zu erwarten. Mit hängenden Schultern schlurfte er in den Flur und betätigte den Knopf der Gegensprechanlage. Zu seiner Überraschung klopfte es an der Wohnungstür. Verdutzt öffnete er. Den kleinen Mann mit dem lichten Haar erkannte er sofort als Polizisten und es schien unnötig, dass er ihm seine Dienstmarke unter die Nase hielt.
    „Meinhans, Mordkommission“, stellte er sich vor. Die rauchige Bassstimme passte überhaupt nicht zu seiner schmächtigen Statur. Über eine randlose Bifokalbrille fixierten ihn wache, graue Augen. Trotz der hohen Temperaturen trug der Polizist einen Wollmantel über seinem knittrigen Hemd. „Kann ich reinkommen?“
    „Mordkommission?“, wiederholte er verunsichert, machte einen Schritt zur Seite und der Kommissar betrat die Wohnung.
    „Sind Sie Frank Grabenstein?“, fragte Meinhans beiläufig, während er seinen Blick über das Wohnungsinventar schweifen ließ. Er nickte und erkannte sogleich, dass die Geste überflüssig war, da der Polizist ihm den Rücken zukehrte. Kommissar Meinhans schien keine Antwort zu erwarten, denn er ging einfach ins Wohnzimmer und nahm dort ungefragt auf dem Sofa Platz.
    Frank setzte sich auf den Stuhl, der an der Wand gegenüber stand. Obwohl der Kommissar beinahe einen Kopf kleiner war, überragte er ihn im Sitzen. Meinhans verschränkte seine Finger ineinander und musterte weiterhin ungeniert die Wohnung.
    „Was kann ich denn für Sie tun?“, fragte er vorsichtig, nachdem ihm das Schweigen seines Gegenübers zunehmend die Luft raubte. Obwohl er sich keiner Schuld bewusst war und sich auch nicht erklären konnte, was der Beamte von ihm wollte, plagte ihn in Anwesenheit des Kommissars ein schlechtes Gewissen. Es schien ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass man gegenüber Polizeibeamten immer anfängt zu glauben, man hätte etwas verbrochen, auch wenn dies nicht zutraf.
    „Kennen Sie Ao Zhong?“
    Die Frage traf ihn wie ein Blitz. Sein seit dem Auftauchen des Kommissars ohnehin beschleunigter Puls steigerte sich. Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er diese Reaktion nicht verbergen konnte. Sein Herz raste und er spürte wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. „Ist ihm etwas zugestoßen?“, fragte er und versuchte dabei selbstsicher zu klingen.
    „Sie kennen ihn?“
    Er nickte – diesmal so, dass der Kommissar es sehen konnte.
    „Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“
    Panik keimte in ihm auf. „Gestern“, antwortete er knapp.
    „Wann genau?“
    Er schluckte. „Was ist passiert?“, fragte er und bemühte sich, seine Fassung nach außen hinzuwahren.
    „Beantworten Sie meine Frage! Wann haben Sie Herrn Zhong gestern gesehen?“
    „Es war wohl eher heute, kurz nach Mitternacht. Er hat auf dem Hof hinter dem Restaurant, in dem er arbeitet, eine Zigarette geraucht.“
    Meinhans nickte unmerklich. „Man fand ihn heute früh in diesem Hof ... in einem der Abfallcontainer. Ermordet! Vermutlicher Todeszeitpunkt zwischen zwölf und eins heute Nacht. Wir können also davon ausgehen, dass Sie der Letzte waren, der ihn lebend gesehen hat. Den Mörder ausgenommen“, ergänzte der Kommissar mit nicht überhörbarer Schärfe.
    Sein Körper zitterte, obwohl in seiner Wohnung fast dreißig Grad herrschten.
    „Es gibt einen Zeugen, der behauptet, Sie hätten mit Herrn Zhong gestern Nacht eine lautstarke Auseinandersetzung gehabt.“
    „Das ist eine Lüge!“, platzte es aus ihm heraus. „Hat die alte Hexe diese infame Behauptung in die Welt gesetzt?“
    Der Kommissar ignorierte seine letzte Bemerkung. Er hatte seine Haltung unverändert beibehalten, zeigte keine Regung und nicht den geringsten Hinweis darüber, was er über Frank dachte.
    „Um was ging es denn in Ihrem Gespräch mit Herrn Zhong?“
    „Verdächtigen Sie mich, ihn getötet zu haben?“, fragte er zurück. Wie ein in die Enge getriebenes Tier beschloss er, in die Offensive zu gehen.
    „Waren Sie es?“
    „Nein, verdammt noch mal!“
    „Dann beantworten Sie meine Frage! Worüber sprachen Sie?“
    „Über eine gemeinsame Bekannte. Ich fragte ihn, ob er weiß, wo sie sich aufhält. Das war alles! Sie müssen mir glauben!“
    Wieder dieses Nicken. Er fühlte die Angst, die wie ein Rudel Wölfe um ihn herumschlich und den Kreis immer enger zog.
    „Halten Sie sich zu unserer Verfügung und verlassen Sie die Stadt nicht! Kommen Sie morgen aufs Revier. Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke“, befahl Meinhans, erhob sich und ging an ihm vorbei in den

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