Die Steinernen Drachen (German Edition)
Flur.
„Wie hat man ihn getötet?“, wollte er wissen und wunderte sich im selben Moment über seine Frage.
Der Polizist drehte sich um und sah ihn eine Weile an. „Es sieht so aus, als sei er erschlagen worden, aber genaueres können wir noch nicht sagen.“ Mit diesen Worten ließ er ihn allein in der Wohnung zurück.
Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, erbrach er sich auf dem Weg ins Bad. Danach sackte er gegen den Türrahmen und starrte lange Zeit gegen die Wand. Falls er alles richtig mitbekommen hatte, stand er unter Mordverdacht!
Er erinnerte sich an das Geräusch, dass er gehört hatte, nachdem Zhong ihn allein im Hof zurückgelassen hatte. Jetzt sprach alles dafür, dass er es sich nicht eingebildet hatte. Sie waren nicht allein gewesen! Das war die einzige Erklärung. Vermutlich wusste Zhong mehr über Leas Verschwinden, als er ihm anvertraut hatte. Er versuchte, sich an den letzten Satz zu erinnern, den ihm der Kellner mit auf den Weg gegeben hatte. Irgendetwas über große und kleine Geheimnisse. Nun war es zu spät sich darüber zu ärgern, dass er dem keine Bedeutung beigemessen hatte. Es sah alles danach aus, als wollte jemand verhindern, dass der Chinese ihm noch mehr erzählen würde. Oder klang das zu paranoid? Hatte Zhongs Tod überhaupt nichts mit ihm oder Lea zu tun? War der Kellner einfach nur mit seinen Beiträgen an die Mafia im Rückstand? Nutzte der Mafia-Killer sein zufälliges Auftauchen, um ihm den Mord in die Schuhe zu schieben? So sehr ihm dieser Gedanke auch gefiel, tief in ihm drin hockte die Gewissheit, dass Zhong wegen ihm sterben musste. Vielleicht, weil er anfing Fragen zu stellen? Fragen über Lea?
Die Polizei würde ab jetzt alle seine Schritte überwachen. Die Prozedur kannte er nur zu gut, damit hatte er schon seine Erfahrungen gemacht. Er hoffte inständig, dass die Presse nicht so schnell Wind davon bekam. Diese Hatz würde er kein zweites Mal durchstehen, zumal es sich diesmal um Mord handelte. In einem Anflug purer Verzweiflung rief er Kham an. Es meldete sich nur eine Mailbox. Die digitale Ansage war in Englisch. Ehe das Aufzeichnungssignal ertönte, legte er auf. Danach flüchtete er aus der Wohnung.
Aus einer Laune heraus nahm er den Bus in die Innenstadt. Da das Freibadwetter anhielt, waren wieder nur wenige Menschen unterwegs. Nur der Biergarten auf der Schwaneninsel war gut besucht. Er hatte Lust auf ein Bier, wollte sich aber nicht zu irgendwelchen Leuten an einen Tisch setzen. Da fand er einen Platz im Kulturcafé. Der Torturm der Altstadt warf einen angenehm kühlen Schatten auf die Terrasse des Cafés. Wider seinem Verlangen bestellte er einen Espresso und ein Wasser.
Von den Sandbänken unten am Fluss ertönte lautes Kindergeschrei. Die Rems war wegen der anhaltenden Trockenperiode um die Insel herum beinahe ausgetrocknet und nur noch ein Rinnsal. In sich versunken beobachtete er die Autos, die über die Kopfsteinpflasterbrücke und durch den Torturm ins Zentrum der Altstadt fuhren. Er versuchte seinen Verstand zu ordnen. Es war wichtig, dass er einen klaren Kopf behielt. Der Mordverdacht nagte an ihm. Doch davon durfte er sich nicht einschüchtern lassen. Das würde heißen, die Kontrolle zu verlieren, unüberlegt zu handeln und somit jegliche Chance zu verspielen, ungeschoren davon zu kommen.
Ein silberfarbener Mazda MX 5 erregte seine Aufmerksamkeit. Nach dem zweiten Blick war er sicher, dass es Ilkas Cabrio war. Ihre blonden Locken wehten verführerisch im Fahrtwind des offenen Wagens. Neben ihr auf dem Beifahrersitz saß Bettina, in deren Haar ebenfalls der Wind spielte. Die Szene erinnerte ihn an einen Werbespot oder an den Film Thelma & Louise . Beide Frauen trugen dunkle Sonnenbrillen, aber er brauchte nur drei Sekunden, um jeglichen Zweifel auszuschließen.
Sie fuhren in fünf Meter Entfernung an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken. Er hatte keine Ahnung, dass die beiden sich kannten. Roch das nach einer Verschwörung? Hinter seiner Stirn fing es an zu arbeiten. Hastig zog er einen Fünf-Euro-Schein aus der Tasche, klemmte ihn unter die Espressotasse und sprintete los. Er überlegte, wo Ilka ihren Wagen parken könnte und nahm den alten Wehrgang Richtung Rathaus. Die verwunderten Blicke vereinzelter Passanten ignorierend, hetzte er durch die engen Gassen. Am Rathausplatz angekommen, umrundete er das Marktdreieck. Mit diesem Gebäudekomplex war es einem eifrigen Architekten in den frühen 80er Jahren gelungen, das komplette Bild der
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