Die Steinernen Drachen (German Edition)
Ja, das war ihr Name, Le Ah!“ Der Langhaarige sprach es anders aus, abgehackt, so wie Kham. Zum ersten Mal hatte er den Eindruck, dass ihm dieser Mann etwas Nützliches sagen konnte.
„Sie kam in den Laden, nein, sie schwebte. Ich sehe es vor mir.“ Er hob die Hände, spreizte seine nikotingefärbten Finger und sein Blick schweifte in die Ferne. Seine rechte Hand wirkte bei näherem Hinsehen seltsam verkrüppelt. Seine Stimme bekam einen normalen Tonfall. „Sie hatte eine Zeichnung dabei, einen Drache. Ich hatte noch nie so eine gelungene Umsetzung gesehen. Die Proportionen des Tieres, die fließende Bewegung, das Zusammenspiel der Farben, alles war perfekt. Das Fabelwesen besaß einen unglaublichen Ausdruck, man konnte meinen, dass es jeden Moment zum Leben erwachte. Die Vorstellung, wie es erst auf der Haut wirkte, machte mich kribbelig. Ich schwöre, ich bekam einen Ständer, als ich mir das Vieh auf dem Rücken dieser Frau vorstellte. Ja, der Drache würde anfangen zu pulsieren, dem Muskelspiel folgend sich tatsächlich bewegen, er würde leben. Ich krieg jetzt noch einen Harten, wenn ich daran denke. Natürlich war es schwer, den Drachen auf ihre Haut zu bringen, aber ich nahm diese Herausforderung gerne an. Zumal Geld keine Rolle spielte. Wie gesagt, er sollte auf den Rücken, den Kopf schräg über die rechte Schulter, den Schwanz des Tieres um ihre Taille geschwungen, so als würde jemand zärtlich einen Arm um sie legen. Verrückt, was? In China sind Drachen dem Kaiser und dessen Familie vorbehalten. Deshalb findest du dort in der Regel keinen Tätowierer, der dir so ein Tier in die Haut zeichnet. Ist so ’ne Art Kodex. Darum kommen die Asiaten nach Europa oder gehen in die USA, um sich Drachen tätowieren zu lassen. Ich hatte mich schon früh auf asiatische Motive spezialisiert und auch bald einen Namen bei den Schlitzaugen. Neben Schriftzeichen, Tigern und Löwen, machte ich in erster Linie Drachen für die gelbe Kundschaft. Was scherte es mich, ob es das Symbol des Kaisers war. Zumal die Chinesen überhaupt keinen Kaiser mehr haben. Habe ich Recht, hä, hä?“ Er kicherte irre, verschluckte sich, hustete bedenklich und sprach dann normal weiter. „Und diesen Drachen wollte ich auf jeden Fall tätowieren – auf den Rücken dieser Frau. Es gab keine bessere Symbiose, alles schien einfach perfekt zu sein.
Ich setzte drei Termine dafür an. Bei so großen Tattoos ist das üblich. Man kann die Haut nur bis zu einem gewissen Grad reizen, dann muss sie sich entspannen, mindestens eine Woche. Erst dann empfiehlt es sich weiterzutätowieren. Beim ersten Termin machte ich die Umrisse und einen Teil der Konturen, die Tiefe sozusagen. Es war ein Genuss, sie zu tätowieren. Normalerweise trage ich dünne Gummihandschuhe, schreibt das Gesundheitsamt vor, hä, hä. Aber bei ihr machte ich eine Ausnahme. Ich wollte ihre Haut unter meinen Fingerkuppen spüren. Es war ein bisschen wie Sex. Sex ohne Gummi, hä, hä!“ Wieder kicherte er, wieder ging sein krankes Gelächter in einen Hustenanfall über.
Die Atemwegserkrankung SARS, die vor einem Jahr in China grassierte, kam Frank in den Sinn und dass der Mann zuviel Kontakt zu Asiaten hatte. Aber das war Unsinn.
Als Wiegand nicht mehr keuchte, fuhr er fort. „Der Drache und die Frau. Ich kann dir nicht sagen, wer von beiden mich geiler machte. Beim zweiten Termin konnte ich mit den Farben beginnen. Das war schon Anfang September. Die Farbmischung war was Besonderes. Ich wäre nicht auf die Idee gekommen. Hey, ich hatte es drauf, aber nein! Auf die Idee wäre ich nicht gekommen, die Farben so zu mischen. Die Vorlage war einfach perfekt. Der Drache war ... ich weiß nicht ... perfekt!“ Sein Blick war irgendwo am Ende des Universums angekommen. Er schwelgte in seinen Gedanken und seine Gesichtszüge verloren jegliche Härte. Er sah fast normal aus. Doch von einer Sekunde auf die andere kehrte der verrückte Ausdruck in seine Mimik zurück.
„Zur dritten Sitzung ist sie dann nicht mehr erschienen. Ich konnte drei Tage weder essen noch schlafen und fühlte mich von ihr verraten. Am vierten Tag kamen die Chinesen.“ Seine Stimme bekam wieder diese irrsinnige Färbung. Die Erinnerung an die Chinesen brachte ihn erneut an die Grenze zum Wahnsinn. In einem Zug trank er sein Bier leer, als wollte er die schrecklichen Gedanken daran fortspülen. Tränen stiegen ihm in die rot unterlaufenen Augen. „Sie waren zu dritt. Große Kerle in schwarzen Anzügen und mit
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