DIE STERBENDE ERDE
stand, leer. Die eigenartige Truhe hatte eine Seitenlänge von einem Meter und war nur zwölf Zentimeter hoch. In ihr befand sich ein Korridor mit vier rechtwinkligen Abbiegungen, und in diesem Gang bewegten sich zwei winzige Gestalten. Die eine war auf Suche, die andere bemühte sich, nicht gesehen und erwischt zu werden.
Der Verfolger war ein Drache mit funkelnden roten Augen und einem gewaltigen Rachen mit scharfen Zähnen. Er watschelte auf sechs plumpen Beinen und peitschte wütend mit dem Schwanz. Der Verfolgte war nur halb so groß wie der Drache –
ein Mann mit festen Zügen und völlig nackt, wenn man von dem kupfernen Stirnband absah, das sein langes schwarzes Haar zusammenhielt. Er bewegte sich ein wenig flinker als sein Verfolger, der hin und wieder ein bißchen schneller stapfte, sich herumwarf und an mancher Biegung lauerte, in der Hoffnung, der Mann möge unvorsichtigerweise gerade hier herum kommen. Durch stete Wachsamkeit gelang es dem Mann jedoch, immer außerhalb der Reichweite des Drachens zu bleiben. Der Mann war Turjan, den Mazirian vor mehreren Wochen bereits durch List eingefangen, verkleinert und hier eingesperrt hatte.
Erfreut beobachtete der Magier, wie das Reptil den sich momentan eine Pause gönnenden Turjan ansprang und dieser nur um Haaresbreite entkam. Es ist an der Zeit, dachte Mazirian, beiden Ruhe und Stärkung zu gönnen. Er ließ eine Wand herunter, die die Truhe in zwei Hälften teilte und so Mann von Tier trennte. Beiden gab er Fleisch und jedem eine Schale mit Wasser.
Turjan ließ sich auf den Boden fallen.
»Ah«, höhnte Mazirian. »Du bist müde. Du möchtest schlafen?«
Turjan schwieg. Er schloß die Augen. Zeit und Welt hatten an Bedeutung für ihn verloren. Die einzige Wirklichkeit war der endlose, gewinkelte Korridor und die ewige Flucht. In Abständen gab es zu essen und ein paar Stunden Ruhe.
»Denk an den blauen Himmel«, fuhr der Magier fort. »Die weißen Sterne, deine Burg Miir an der Derna. Denk an einen Spaziergang über blühende Wiesen.«
Turjans Gesichtsmuskeln zuckten.
»Denk, daß du den winzigen Drachen unter deinem Fuß zertreten könntest.«
Turjan blickte hoch. »Ich würde vorziehen, dir den Hals umzudrehen, Mazirian.«
Ungerührt fragte der Magier: »Sag mir, wie du deinen Geschöpfen Verstand verleihst! Sprich, dann lasse ich dich frei.«
Turjan lachte freudlos. »Dir mein Geheimnis verraten? Und kaum kennst du es, wirst du mich in kochendem Öl sieden.«
Mazirians dünne Lippen verzogen sich verärgert.
»Armseliger! Ich weiß, wie ich dich zum Sprechen bringe!
Selbst wenn ich dir den Mund stopfte und mit Wachs versiegelte, würdest du sprechen! Morgen werde ich einen Nerv deines Arms bloßlegen und mit rauhem Tuch darüber reiben.«
Der winzige Turjan streckte die Beine aus, trank sein Wasser und schwieg.
»Heute abend«, erklärte Mazirian mit berechnender Bosheit,
»werde ich dem Gang eine fünfte Krümmung anfügen und ihn zu einem Pentagon machen.«
Turjan schaute durch den Glasdeckel zu seinem Feind hoch.
Dann nippte er wieder von seinem Wasser. Mit fünf Ecken blieb ihm weniger Zeit, sich vor einem Angriff des Drachens in Sicherheit zu bringen, da er nicht mehr so weit wie bei vier Winkeln sehen konnte.
»Morgen«, höhnte der Magier, »wirst du deine ganze Gewandtheit gebrauchen müssen.« Da fiel ihm plötzlich etwas ein. Er betrachtete Turjan nachdenklich. »Doch das könnte ich dir ersparen, wenn du mir bei der Lösung eines anderen Problems behilflich bist.«
»Wo drückt dich der Schuh noch, unersättlicher Hexer?«
»Das Bild einer Frau verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Ich will dieses Weib einfangen.« Bei dem Gedanken an sie bewölkte sich sein Blick. »Spätnachmittags reitet sie auf einem edlen Rappen bis zum Rand meines Gartens. Kennst du sie, Turjan?«
»Woher sollte ich sie kennen?« fragte Turjan. Ruhig nahm er einen weiteren Schluck Wasser.
Mazirian fuhr fort. »Sie versteht genug von Zauberei, um selbst Felojuns Zweiten Hypnotischen Bann abzuwehren – oder sie verfügt über eine Schutzrune. Wenn ich mich ihr nähere, flieht sie in den Wald.«
»Na und?« brummte Turjan und kaute an dem Fleisch, das Mazirian gebracht hatte.
»Wer mag diese Frau sein?« fragte der Magier und schielte Turjan über die lange Nase hinweg an.
»Wie sollte ich das wissen?«
»Ich muß sie fangen«, murmelte Mazirian zu sich. »Welche Zauber? Welche Zauber?«
Wieder blickte Turjan hoch, obgleich er den Magier durch
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