DIE STERBENDE ERDE
aufsprang.
Das Mädchen taumelte ins Innere, schlug geistesgegenwärtig die Tür hinter sich zu und schob den Riegel vor. Der Deodand warf sich mit ganzem Gewicht dagegen.
Die Tür war aus festem Holz, die Fenster waren klein und mit Eisengittern geschützt. T'sais befand sich in Sicherheit.
Ihr Atem rasselte in der Kehle. Die Knie gaben nach. Sie verlor die Besinnung…
Der Bewohner der Hütte erhob sich von seinem Platz am Feuer. Er war groß, breitschultrig, sein Schritt merkwürdig langsam. Er mochte ein noch junger Mann sein, doch das war nicht zu erkennen, denn sein Kopf steckte unter einer schwarzen Kapuze. Nur ruhige, blaue Augen waren durch schmale Schlitze im Stoff zu sehen.
Der Mann blieb neben T'sais stehen, die wie eine fallengelassene Puppe auf dem roten Ziegelboden lag. Er bückte sich, hob die schlaffe Gestalt auf und legte sie auf ein weiches breites Polster neben dem Feuer. Er nahm ihr die Sandalen, das vibrierende Rapier, den feuchten Umhang ab.
Dann holte er eine Salbe und trug sie auf ihre Kratzwunden und unzähligen Blutergüsse auf. Schließlich wickelte er sie in eine weiche Flanelldecke, schob ihr ein Kissen unter den Kopf, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie es bequem genug hatte und ihre Bewußtlosigkeit einem tiefen Schlaf gewichen war, kehrte er zu seinem breiten Sessel am Feuer zurück.
Der Deodand hatte abgewartet und durch das vergitterte Fenster beobachtet, was sich im Innern tat. Jetzt klopfte er an die Tür.
»Wer ist draußen?« fragte der Mann in der schwarzen Kapuze, während er sich umdrehte.
»Ich begehre jene, die zu Euch gekommen ist. Ich hungere nach ihrem Fleisch«, erklärte der Deodand mit seiner sanften Stimme.
»Verschwinde, ehe ich dich mit einem Zauber belege, der dich von innen heraus verbrennt!« sagte der Mann in der Kapuze scharf.
»Ich gehe«, erwiderte der Deodand schnell, denn er fürchtete nichts so sehr wie Magie. Eilig zog er sich in die dunkle Nacht zurück.
Der Mann drehte sich wieder um und starrte ins Feuer.
T'sais spürte eine warme, würzige Flüssigkeit in ihrem Mund und öffnete die Augen. Ein großer Mann mit schwarzer Kapuze kniete neben ihr. Mit einem Arm stützte er ihre Schultern und ihren Kopf, mit dem anderen hielt er einen Silberlöffel an ihre Lippen.
T'sais zuckte zurück. »Beruhige dich«, sagte der Mann mit angenehmer Stimme. »Es geschieht dir nichts.« Zögernd legte sie den Kopf aufs Kissen zurück und versuchte sich zu entspannen.
Roter Sonnenschein strahlte durch die Gitterfenster. Es war wohlig warm in der Hütte. Das helle Holz der Wände machte den Raum heimelig. Ein Arabeskenmuster, rot, blau und braun bemalt, verzierte die Decke. Jetzt holte der Mann noch mehr Brühe vom Feuer und Brot aus einem Schrank und stellte beides neben sie. Nach kurzem Zögern griff T'sais hungrig zu.
Plötzlich übermannte die Erinnerung sie. Sie erzitterte, blickte sich gehetzt um. Der Mann bemerkte ihr angespanntes Gesicht. Er beugte sich zu ihr herab, legte sanft eine Hand auf ihr Haar. T'sais duldete es, aber ihre Angst war nicht ganz geschwunden.
»Du bist hier sicher«, sagte der Mann. »Fürchte dich nicht.«
T'sais Lider wurden schwer. Müdigkeit überwältigte sie. Sie schlief wieder ein.
Als sie erwachte, war die Hütte leer, und das Licht, das nun schräg durch ein gegenüberliegendes Fenster fiel, leuchtete in tiefem Weinrot. Sie reckte sich, verschränkte die Finger hinter dem Kopf und dachte nach. Dieser Mann in der schwarzen Kapuze – wer war er? War er böse? Alles andere auf der Erde war es bisher gewesen. Doch er hatte ihr nichts Schlimmes getan… Sie sah ihre Sachen auf dem Boden. Sie stand auf und kleidete sich an. Dann ging sie an die Tür, öffnete sie. Vor ihr erstreckte sich das Moor bis zum Horizont.
Links warf leuchtend rotes Gestein schwarze Schatten, und rechts umsäumte dunkler Wald die ganze Länge des Moors.
T'sais fragte sich nachdenklich, ob es wohl ein schönes Bild war. Ihr fehlentwickeltes Gehirn ließ sie nur bedrückende Öde in der langgestreckten Fläche des Moors sehen. Die schneidenden Kanten des Gesteins und der Wald erfüllten sie mit Grauen.
War die Landschaft schön? Zweifelnd drehte sie den Kopf, blinzelte. Sie hörte Schritte und wirbelte, auf alles Schlimme gefaßt, herum. Es war der Mann in der schwarzen Kapuze.
Erleichtert lehnte T'sais sich an den Türrahmen.
Sie blickte ihm neugierig entgegen. Er war groß und stark und sein Schritt gesetzt. Weshalb trug er
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