DIE STERBENDE ERDE
– eine gebrochene Stimme.
»Ich – bin – noch nicht – tot! Ihr habt – alle Träume –
zerstört … Ich werde – euch – töten…«
Keuchend kletterten sie in den Flugwagen. Ulan Dhor startete, hob ihn in die Luft. Mit unvorstellbarer Willensanstrengung schoß einer der peitschenden Tentakel in die Höhe, um das Boot zu fassen. Ulan Dhor konnte gerade noch ausweichen. Der Tentakel schnellte sich vor sie, ihnen den Weg abzuschneiden.
Mit aller Kraft drückte Ulan Dhor auf den Geschwindigkeitshebel. Die verdrängte Luft heulte, pfiff hinter ihnen. Der schwarze Arm des sterbenden Gottes war nicht flink genug gewesen. Doch immer noch versuchte er die Menschlein zu erwischen, die ihm solche Schmerzen zugefügt hatten.
»Schneller! Schneller!« flehte Ulan Dhor das Flugboot an.
Und: »Höher, höher!« flüsterte das Mädchen.
Ulan Dhor richtete die Nase des Flugboots himmelwärts.
Fast kerzengerade floh es in die Wolken. Doch der sich immer länger dehnende Arm folgte ihnen, obgleich Ampridatvir nun schon weit zurücklag.
Rogol Domedonfors starb. Der schwarze Arm löste sich in Rauch auf, der langsam aufs Meer herabsank.
Ulan Dhor behielt die Höchstgeschwindigkeit bei, bis die Insel am Horizont verschwand. Jetzt erst gönnte er sich eine kleine Pause. Er seufzte erleichtert auf und lehnte sich ins Polster zurück.
Elai warf sich plötzlich an seine Schulter und schluchzte heftig.
»Ruhig, ruhig Mädchen. Wir sind in Sicherheit. Wir werden nie wieder in diese verfluchte Stadt zurückkehren.«
Ihr Schluchzen verstummte. Schließlich fragte sie leise:
»Und wohin fliegen wir jetzt?«
Ulan Dhors Augen wanderten überlegend über das Innere des Flugboots.
»Ich kann Kandive keinen Zauber mitbringen, wie er erwartet. Aber ich habe ihm viel zu erzählen – vielleicht gibt er sich damit zufrieden… Ganz sicher aber wird er den Flugwagen haben wollen. Doch ich werde mir etwas einfallen lassen…«
Sie flüsterte: »Können wir denn nicht in den Osten fliegen?
Immer weiter fliegen, immer weiter, bis wir sehen, wo die Sonne aufgeht. Und dann vielleicht eine friedliche Wiese mit ein paar Obstbäumen…«
Ulan Dhor blickte südwärts und dachte an Kaiin mit seinen ruhigen Nächten und den weinfarbenen Tagen, den großen Palast, der sein Heim war, und an den Diwan, von dem aus er über die Bucht von Sanreale blicken konnte, an die alten Olivenbäume, die Maskenfeste zur Karnevalszeit.
»Elai«, sagte er. »Es wird dir in Kaiin gefallen.«
6. Kapitel
Guyal von Sfere
Schon von Geburt an war Guyal von Sfere anders als seine Mitmenschen, und seine Entwicklung machte bereits in jungen Jahren seinem Erzeuger große Sorge. Rein äußerlich war er völlig normal, aber in seinem Gehirn gab es eine Leere, die gefüllt werden wollte.
Es war, als hätte seine Geburt unter einem Zauber gestanden, der das Kind mit einem unstillbaren Wissensdurst belastet hatte, so daß jedes, auch das unbedeutendste Ereignis für ihn zum Wunder wurde, über das er mehr zu erfahren trachtete.
Beispielsweise stellte er bereits, als er kaum vier Jahre alt war, folgende Fragen:
»Warum haben Quadrate mehr Seiten als Dreiecke?«
»Wie werden wir sehen, wenn die Sonne erlischt?«
»Wachsen auch unter dem Meer Blumen?«
»Prasseln und zischen die Sterne, wenn es des Nachts regnet?«
Sein Vater antwortete ungeduldig:
»So bestimmte es das Pragmatika. Quadrate und Dreiecke müssen der Regel gehorchen.«
»Wir werden gezwungen sein, uns durch die Dunkelheit zu tasten.«
»Ich konnte mich dessen nie vergewissern. Nur der Kurator weiß es.«
»Aber durchaus nicht, denn die Sterne sind hoch über dem Regen, ja höher selbst als die höchsten Wolken, und sie schwimmen in verfeinerter Luft, in der es nie zum Regnen kommen kann.«
Als Guyal zum Jüngling heranwuchs, zog die Leere in seinem Geist sich nicht zusammen, wie man gehofft hatte. Im Gegenteil, sie schien in einem noch stärkeren Verlangen zu pulsieren. Und so fragte er:
»Weshalb sterben Menschen, wenn sie getötet werden?«
»Was wird aus der Schönheit, wenn sie verschwindet?«
»Wie lange leben die Menschen schon auf der Erde?«
»Was ist jenseits des Himmels?«
Worauf sein Vater mühsam die Bitterkeit unterdrückte und folgendermaßen antwortete:
»Der Tod ist das Erbe des Daseins. Die Lebenskraft eines Menschen ist wie Luft in einer Blase. Stichst du eine Nadel hinein, so flieht das Leben wie die Farbe eines erlöschenden Traums.«
»Schönheit ist ein Glanz,
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