DIE STERBENDE ERDE
Mann ins Gesicht und machte sich seine Gedanken über ihn. Die Augen, obgleich ein wenig schwach vom Alter, waren grau und glänzend – fiebrig glänzend und intelligent und, dachte Guyal, als erfülle sie plötzlich eine ungeheuere Freude. Diese Freude gab Guyal weitere Rätsel auf, denn die tiefen Runen des Gesichts verrieten nichts als Jahre der Not und Bitternis.
»Vielleicht könnt Ihr auch spielen?« fragte Ameth. »Mein Onkel ist ein großer Künstler, und jetzt ist seine Stunde für Musik. Seit Jahren schon folgt er der gleichen Routine…« Sie drehte das Gesicht und lächelte Ludowik, den Musiker, an.
Guyal nickte höflich.
Ameth deutete auf die reichgedeckte Tafel. »Laßt es Euch schmecken, Guyal, ich werde Euch auch noch Wein einschenken. Danach könnt Ihr vielleicht auf der Flöte für uns spielen.«
»Mit größtem Vergnügen«, versicherte ihr Guyal und bemerkte, wie die Freude auf Ludowiks Gesicht wuchs und seine Mundwinkel vor Aufregung zitterten. Guyal aß, und Ameth kredenzte ihm goldenen Wein, bis sein Kopf sich drehte. Nie setzte Ludowik die Flöte ab. Er spielte eine sanfte Melodie, die an einen fröhlich rauschenden Fluß denken ließ; dann eine ernste Weise, die das verlorene Land im Westen beklagte; danach ein simples Lied, wie ein Kind beim Spielen trällern mochte. Guyal staunte, wie Ameths Stimmung sich der Musik anpaßte, ernst und fröhlich, je nach den Klängen der Flöte. Seltsam, dachte Guyal. Aber Menschen, so einsam und von der Welt abgeschlossen wie die beiden, mochten leicht eigentümliche Gewohnheiten entwickeln. Und schließlich waren sie immerhin gastfreundlich. Er beendete das Mahl, und als er aufstand, mußte er sich gegen den Tisch stützen.
Ludowik blies jetzt eine verspielte Weise von Glasvögeln, die sich an einem roten Faden rund und rund im Sonnenschein drehten. Ameth tanzte zu ihr und blieb ganz, ganz dicht neben ihm stehen, daß der feine Duft ihres goldbraunen Haars in seine Nase stieg. Ihr Gesicht wirkte glücklich und wild…
Seltsam, mit welch grimmigem Ausdruck Ludowik sie beobachtete und doch ohne etwas zu sagen. Vielleicht legte er die Absichten eines Fremden falsch aus. Trotzdem…
»Jetzt«, hauchte Ameth. »Jetzt spielt Ihr die Flöte. Ihr seid so jung und stark.« Dann fügte sie hastig hinzu, als sie sah, wie Guyals Augen sich weiteten. »Ich meinte, Ihr macht Musik für Onkel Ludowik, dann wird er glücklich sein und zufrieden zu Bett gehen – und dann – dann können wir uns noch lange, bis tief in die Nacht hinein, unterhalten.«
»Gern blase ich auf der Flöte«, sagte Guyal. Seine verdammte Zunge, gleichzeitig so beredt und doch so schwer!
Es war der Wein. »Sehr gern spiele ich für Euren Onkel. Man hält mich zu Hause in Sfere für einen begabten Flötisten.«
»Dann – spielt!« Ameth atmete heftig und schob ihn ein bißchen auf Ludowik und seine Flöte zu.
»Vielleicht«, meinte Guyal, »sollte ich lieber warten, bis Euer Onkel eine Pause macht. Es zeugte von keinen guten Manieren…«
»Nein, nein, sobald Ihr ihm andeutet, daß Ihr spielen möchtet, wird er sofort aufhören. Ihr braucht nur seine Flöte zu nehmen. Wißt Ihr«, flüsterte sie vertraulich, »er hört nicht sehr gut.«
»Also schön«, erklärte Guyal sich einverstanden. »Aber ich blase auf meiner eigenen Flöte.« Er holte sie aus dem Wams hervor. »Aber – aber was habt Ihr denn?« Eine bemerkenswerte Veränderung hatte sich in den Mienen der beiden vollzogen. In ihren Augen leuchtete es flüchtig auf, und Ludowiks eigenartige Freude war verschwunden, stumpfe Hoffnungslosigkeit, geistlose Resignation breiteten sich auf seinen Zügen aus.
Guyal machte einen erstaunten Schritt zurück. »Wollt Ihr denn nicht, daß ich spiele?«
Nach kurzem Zögern sagte Ameth: »Aber natürlich.« Und wieder wirkte sie jung und bezaubernd. »Doch ich weiß, daß Onkel Ludowik es lieber hören würde, wenn Ihr auf seiner Flöte blast. Er ist mit ihrem Klang vertraut, ein anderer schmerzt vielleicht seine Ohren…«
Ludowik nickte, und plötzlich leuchteten seine schwachen alten Augen wieder voll Hoffnung. Guyal sah, daß es wahrhaftig eine sehr wertvolle Flöte war – aus weißem Metall, mit Gold eingelegt. Und Ludowik umklammerte sie, als wolle er sie nie aus der Hand geben.
»Nehmt die Flöte«, forderte Ameth Guyal auf. »Es macht ihm bestimmt nichts aus.« Ludowik schüttelte den Kopf, um anzudeuten, daß es ihn wirklich nicht stören würde. Aber Guyal, nach einem Blick
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