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DIE STERBENDE ERDE

DIE STERBENDE ERDE

Titel: DIE STERBENDE ERDE Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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auf den schmutzigen Bart, schüttelte ebenfalls, sich innerlich ekelnd, den Kopf. »Ich kann meiner Flöte jeden Klang verleihen, jeden Akkord in Dur und Moll spielen. Es ist durchaus nicht nötig, die Eures Onkels zu benutzen und ihn dadurch möglicherweise zu verletzen. Hört«, er hob sein Instrument an die Lippen. »Hier ist ein Lied von Kaiin, es heißt, >Der Opal, die Perle und der Pfau<.«
    Er blies die Flöte wahrhaftig meisterlich. Ludowik schloß sich ihm an, füllte die Pausen, variierte. Ameth vergaß ihren Unmut. Sie lauschte mit halbgeschlossenen Augen und bewegte ihre Arme im Rhythmus der Melodie.
    »Gefiel Euch das?« fragte Guyal sie, als er geendet hatte.
    »Oh, sehr. Vielleicht könnt Ihr es jetzt auf Onkel Ludowiks Flöte versuchen? Man kann wundervoll auf ihr blasen, sie hat einen ungemein melodischen Klang.«
    »Nein«, erwiderte Guyal nun ein wenig verärgert. »Ich kann nur auf meiner eigenen wirklich gut spielen.« Er setzte sie wieder an die Lippen. Diesmal gab er einen vor überschwenglicher Lebensfreue sprühenden Karnevalstanz zum besten. Ludowik begleitete ihn auch diesmal mit unvorstellbarem Geschick und flocht vergnügte Tonsätze ein.
    Der Rhythmus riß Ameth mit, und sie tanzte ihren eigenen, schnell improvisierten, fröhlichen Tanz zu dieser Musik.
    Guyal spielte als nächstes eine heiße Tarantella, wie die Bauern sie liebten, und Ameth tanzte noch wilder und feuriger, warf ihre Arme und den Kopf im Takt und wirbelte auf einem Bein. Und Ludowiks Flöte spielte meisterhaft ein Obbligo. Die Klänge jauchzten, überschlugen sich, trillerten und woben ein Gespinst aus Silberglöckchen um Guyals Melodie.
    Ludowiks Augen hingen nun an dem wirbelnden Mädchen.
    Plötzlich begann er eine eigene Weise von heißester Leidenschaft und wildestem Rhythmus. Und Guyal wurde davon mitgerissen. Er blies, wie er nie in seinem Leben geblasen hatte, erfand Triller und wirbelnde Arpeggiaturen, er blies hoch und schrill, laut und schnell und klar.
    Doch war es nichts, verglichen mit Ludowiks Musik. Die Augen des Alten waren erschreckend. Schweiß strömte von der gefurchten Stirn. Seine Flöte zerriß die Luft in zitternde ekstatische Wellen.
    Ameth tanzte wie besessen. Nicht länger war sie schön und bezaubernd. Sie wirkte grotesk und fremdartig. Die Musik wurde zu mehr, als die Sinne ertragen konnten. Vor Guyals Augen verschwamm alles. Wie durch einen grau-rosa Schleier hindurch sah er Ameth mit schäumenden Lippen zusammenbrechen, und Ludowik sich mit brennenden Augen über sie beugen. Und dann spielte der Alte eine unheimlich eindringliche Weise, ernst, schleppend und erschreckend.
    Ludowik spielte den Tod!
    Mit vor Grauen verzerrtem Gesicht rannte Guyal von Sfere aus dem Raum und aus dem Haus. Ludowik bemerkte es nicht.
    Er setzte sein furchtbares Flöten fort und spielte, als wäre jede Note ein Dolch ins Herz des zuckenden Mädchens.
    Guyal hastete durch die Nacht, und der Wind peitschte ihm ins Gesicht. Er stürmte in das niedrige Haus, warf seinem wiehernden Schimmel den Sattel auf den Rücken, befestigte das Zaumzeug, und schon brauste er durch die Straßen des alten Carchasel, vorbei an den gähnenden, schwarzen Fenstern, über das unter den Hufen widerhallende, im Sternenlicht glitzernde Kopfsteinpflaster – nur weg, nur fort von der Todesmusik.
    Guyal von Sfere galoppierte, den Sternenschein im Gesicht, den Berg hoch, und erst als er auf dem Kamm angelangt war, drehte er sich im Sattel und blickte zurück.
    Der erste Schein der Dämmerung hatte die Nacht vertrieben.
    Wo war Carchasel? Es gab keine Stadt – nur zerfallene Ruinen, Schutt und Moder…
    Doch war da nicht ein fernes Flöten zu hören? Nein, alles war still. Und doch…
    Nein, nur zerbröckelte Steine unten im Tal. Mit leerem Blick drehte Guyal sich wieder um und folgte dem Weg, der gut sichtbar nordwärts verlief. Durch einen Engpaß führte er, dessen beide Seiten steile Granitwände waren, mit roten und schwarzen Flechten und blauschimmerndem Moder überzogen.
    Die Hufe des Pferdes klapperten eintönig auf dem Steinboden.
    Es dröhnte in Guyals Ohren und wirkte hypnotisch auf seinen Geist. Nach der schlaflosen Nacht merkte er erst, wie müde er war, wie schlaff seine Arme von den Seiten hingen. Immer wieder fielen ihm die Lider zu, aber der Weg führte in unbekannte Gegenden, und die drängende Leere in Guyals Gesicht trieb ihn ruhelos voran.
    Die Müdigkeit wurde jedoch so stark, daß Guyal schon halb aus dem Sattel

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