Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
Stimme tonlos war. Sie berieten oder besprachen mit ihr die Einzelheiten einer Trauerfeier, zweifellos der von Desvern, ich erfuhr nicht, ob es ein Gedenkgottesdienst nach drei Monaten (die gerade verstrichen waren, wie ich nachrechnete) sein sollte oder überhaupt die erste Totenfeier war, die man damals nicht begangen hatte, ein, zwei Wochen später, wie es manchmal noch der Brauch ist, in Madrid zumindest. Vielleicht hatte sie damals nicht die Kraft dazu gehabt, oder die grausigen Umstände hatten dagegen gesprochen – die Leute können es einfach nicht lassen, bei diesen gesellschaftlichen Anlässen nachzubohren oder Gerüchte auszustreuen –, und so stand sie noch aus, wenn die Familie Wert auf Traditionen legte. Vielleicht hatte sie jemand Fürsorgliches – ein Bruder zum Beispiel, ihre Eltern oder eine Freundin – gleich nach der Beerdigung aus Madrid weggeholt, damit sie sich aus der Ferne an die Leere gewöhnte und die ehelichen Schauplätze sie nicht noch unterstrichen oder vertieften, in Wirklichkeit ein unnützes Aufschieben des Furchtbaren, das sie erwartete. Von ihr hörte ich nicht mehr als: »Ja, einverstanden« oder »wie ihr meint, ihr könnt klarer denken« oder »der Pfarrer soll es kurz machen, Miguel hatte nicht allzu viel für sie übrig, sie haben ihn nervös gemacht« oder »nein, nicht Schubert, der ist zu besessen vom Tod, und an unserem haben wir allemal genug«.
    Ich sah, wie die Kellner des Cafés nach kurzer Unterredung an der Theke gemeinsam zu ihrem Tisch gingen, eher steif als feierlich, und obwohl sie schüchtern und leise sprachen, hörte ich, dass sie ihr sehr allgemein ihr Mitgefühl ausdrückten: »Wir wollten Ihnen sagen, dass uns das mit Ihrem Mann sehr leidtut, er war immer so nett gewesen«, sagte einer. Und der andere setzte mit der altmodischen, hohlen Floskel nach: »Wir sprechen Ihnen unser Beileid aus. Eine Tragödie.« Sie dankte es ihnen mit ihrem verblichenen Lächeln, mehr nicht, ich verstand, dass sie sich nicht weiter einlassen, erklären oder äußern wollte. Als ich aufstand, war ich versucht, ein Gleiches zu tun, doch ich wagte nicht, ihr teilnahmsloses Gespräch mit den Freundinnen noch einmal zu unterbrechen. Außerdem war es höchste Zeit für mich, ich wollte nicht allzu spät ins Büro kommen, jetzt, da ich mich gebessert hatte und immer pünktlich am Schreibtisch saß.
    Es verging ein weiterer Monat, bevor ich sie wiedersah, die Blätter fielen schon von den Bäumen und die Luft wurde kühl, doch immer noch zogen es manche vor, draußen zu frühstücken – ein hastiges Frühstück für eilige Leute, die sich viele Stunden lang drinnen vergraben würden und nicht lang genug blieben, um zu frieren, die meisten schweigend und schläfrig wie ich –, und so hatte man die Tische noch nicht vom Gehweg geräumt. Luisa Alday kam diesmal mit den beiden Kindern und bestellte für jedes ein Eis. Ich malte mir aus – eine ferne Erinnerung aus meiner eigenen Kindheit –, dass die beiden nüchtern zur Blutabnahme hatten gehen müssen und sich als Belohnung für das Hungern und den Piekser etwas hatten wünschen und die erste Schulstunde schwänzen dürfen. Das Mädchen gab die ganze Zeit über auf ihren Bruder acht, an die vier Jahre jünger als sie, doch ebenso, wie mir schien, auf Luisa, als tauschten sie gelegentlich die Rollen, oder nein, als machten beide sich ein wenig die der Mutter streitig, auf dem schmalen Grat, auf dem das möglich ist. Das heißt, während das Mädchen seinen Eisbecher aß und dabei kindlich akkurat mit dem Löffel hantierte, passte es auf, dass Luisas Kaffee nicht kalt wurde, und drängte sie, ihn zu trinken. Es beobachtete sie auch verstohlen, als belauerte es ihre Gebärden, ihre Miene, und wenn es merkte, dass ihr Blick allzu abwesend wurde, sie im Abgrund ihrer Gedanken versank, wandte es sich mit einem beliebigen Kommentar, einer Frage oder Geschichte sofort an sie, als wollte es verhindern, dass sie vollkommen abtauchte, als täte sie ihm leid in ihrer Versunkenheit. Als ein Wagen ankam, in zweiter Reihe parkte und vorsichtig hupte, die Kinder aufstanden, ihre Ranzen nahmen, schnell die Mutter küssten und Hand in Hand zu ihm gingen, in der Gewissheit, dass er sie abholen kam, hatte ich das Gefühl, dass die Kleine sich besorgter von Luisa trennte als diese von ihr (denn das Mädchen war es, das ihr flüchtig die Wange streichelte, als riete es ihr, brav zu sein und sich keinen Ärger einzuhandeln, oder als wollte es

Weitere Kostenlose Bücher