Die sterblich Verliebten
zu Hause und am Leben oder als könnte sie sich nur in bestimmten Fällen von ihm losreißen. »Du nimmst es hoffentlich nicht übel, bitte. Setz dich doch.«
»Aber nein, wie sollte ich das übelnehmen, auch für Sie beide hatte ich mir einen Namen ausgedacht.« Es machte mir nichts aus, sie ebenfalls zu duzen, aber bei ihrem Mann wagte ich es nicht, und mein Satz hatte ihn wieder eingeschlossen. Man kann einen Toten, den man nicht gekannt hat, unmöglich beim Vornamen nennen. Oder sollte es nicht, Nuancen, auf die heute niemand mehr achtet, alle Welt nimmt sich Freiheiten heraus. »Ich kann nicht bleiben, so leid es mir tut, ich muss zur Arbeit.« Ich schaute wieder auf die Uhr, ganz unwillkürlich oder um meine Eile zu betonen, ich wusste sehr wohl, wie spät es war.
»Natürlich. Wenn du magst, verabreden wir uns für später, komm doch bei mir vorbei, wann hast du Schluss? Was arbeitest du? Und wie hast du uns genannt?« Ihre Hand lag noch immer auf meiner Schulter, wirkte nicht fordernd, eher bittend. Eine flüchtige Bitte allerdings, dem Augenblick geschuldet. Wenn ich ablehnte, hätte sie unsere Begegnung am Nachmittag wieder vergessen.
Ich antwortete nicht auf ihre vorletzte Frage – dazu war keine Zeit – und schon gar nicht auf die letzte: Ihr zu sagen, dass sie für mich das perfekte Paar gewesen waren, hätte ihr womöglich noch mehr Schmerz und Bitterkeit bereitet, schließlich würde sie wieder allein mit sich sein, sobald ich fort war. Aber ich willigte ein, nach der Arbeit vorbeizukommen, am frühen Abend, wenn es ihr passe, gegen halb sieben, sieben. Ich fragte nach der Adresse, sie gab sie mir, es war ganz in der Nähe. Zum Abschied legte ich die Hand einen Augenblick auf die ihre an meiner Schulter, drückte sie dabei und nahm sie fort, beides ganz sanft, und sie schien dankbar zu sein, dass es dazu gekommen war, zu einer Berührung. Ich wollte schon die Straße überqueren, als es mir noch einfiel. Ich musste wieder umkehren.
»Wie dumm ich bin, das hatte ich ganz vergessen«, sagte ich. »Ich weiß nicht, wie du heißt.«
Erst da erfuhr ich ihn, ihr Name war in keiner Zeitung aufgetaucht, und Todesanzeigen hatte ich keine gesehen.
»Luisa Alday«, entgegnete sie. »Luisa Desvern«, verbesserte sie sich. In Spanien legen die Frauen bei der Heirat nicht ihren Mädchennamen ab, und ich fragte mich, ob sie nun ihren Namen geändert hatte, als Akt der Treue, als Hommage. »Nun gut, Luisa Alday«, korrigierte sie sich ein weiteres, ein zweites Mal. Bestimmt hatte sie sich im Geiste nie anders genannt. »Gut, dass du dran gedacht hast, denn vorn an der Tür steht Miguel nicht dran, nur ich.« Sie wurde nachdenklich und fügte hinzu: »Eine Vorsichtsmaßnahme von ihm, man verbindet seinen Nachnamen mit dem Geschäft. Da siehst du, was es genützt hat.«
»Am seltsamsten ist, dass ich jetzt ganz anders denke«, sagte sie außerdem an dem Abend damals, als es schon dunkel in ihrem Wohnzimmer wurde, Luisa auf einem Sofa und ich auf einem Sessel daneben und wie sie mit einem Glas Portwein vor mir, für den sie sich entschieden hatte; sie trank ihn in kleinen, beständigen Schlückchen, hatte sich immer wieder nachgeschenkt und war schon beim dritten Glas, wenn ich richtig gezählt hatte; sie verstand es, die Beine auf natürliche Art übereinanderzuschlagen, immer wirkten sie elegant, mal das rechte oben, mal das linke, an dem Tag trug sie einen Rock und schwarze Lackpumps, niedrig, doch mit feinem Stöckelabsatz, die ihr das Aussehen einer gebildeten Nordamerikanerin gaben, die Sohlen waren dagegen sehr hell, fast weiß, wie bei ungetragenen Schuhen, ein scharfer Kontrast; ab und an kamen die Kinder herein oder eins von ihnen, um etwas zu erzählen, zu fragen oder entscheiden zu lassen, sie sahen nebenan fern, ein Raum, der wie eine Erweiterung des Wohnzimmers war, denn er besaß keine Tür, Luisa hatte mir erklärt, im Zimmer des Mädchens stehe zwar auch ein Apparat, aber sie habe die beiden lieber in der Nähe, damit sie höre, wenn etwas passiere oder sie stritten, auch zur Gesellschaft, also sollten sie nebenan bleiben, nicht in Sicht-, aber in Hörweite, ihre Konzentration störten sie ohnehin nicht, denn konzentrieren konnte sie sich nicht mehr, sie hatte es für immer aufgegeben, zumindest glaubte sie, dass es für immer war, ein ganzes Buch zu lesen, einen Film zu Ende zu sehen, ein Seminar anders als auf dem Sprung oder im Taxi unterwegs zur Universität vorzubereiten, und Musik konnte
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