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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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der Dummheit früherer Heere gleich, die ein Pferd verhaften und sogar hinrichten ließen, weil es einen Offizier abgeworfen und ihm den Tod gebracht hatte, die Welt war da noch naiver. Ich kann jetzt auch nicht alle Bettler und Obdachlosen verteufeln. Angst machen sie mir allerdings. Wenn ich einen sehe, gehe ich ihm lieber aus dem Weg, wechsele die Straßenseite, ein erklärlicher Reflex, der mir für immer bleiben wird. Aber das ist etwas anderes. Doch aktiv hassen kann ich sie nicht, wie ich etwa einen rivalisierenden Unternehmer hassen könnte, der einen Killer auf ihn angesetzt hätte, so etwas gibt es immer häufiger, weißt du, auch in Spanien, Leute, die sich einen Mörder von außerhalb kommen lassen, einen Kolumbianer, einen Serben, Mexikaner, der dann den beseitigen soll, der zu viel Konkurrenz macht, einer Expansion im Wege steht oder bloß einem Geschäft. Sie lassen jemanden einfliegen, er erledigt seinen Job, wird bezahlt und zieht ab, alles an einem Tag oder in zwei, man findet sie niemals, sie sind diskret und professionell, arbeiten lupenrein, hinterlassen keine Spuren, und wenn die Leiche abtransportiert wird, sind sie am Flughafen oder schon auf dem Rückflug. Fast nie lässt sich etwas beweisen, schon gar nicht, wer ihn engagiert, wer ihn angestiftet oder den Auftrag gegeben hat. Aber selbst in so einem Fall hätte ich den abstrakten Killer nicht richtig hassen können, das Los ist auf ihn gefallen, wie es jeden anderen hätte treffen können, der gerade frei ist; er hätte Miguel nicht gekannt, hätte persönlich nichts gegen ihn gehabt. Ganz anders bei den Anstiftern, ich könnte den einen oder anderen verdächtigen, einen Konkurrenten, einen Verärgerten oder Geschädigten, jeder Geschäftsmann hinterlässt Opfer, ob ungewollt oder nicht; ja sogar die befreundeten Kollegen, das habe ich erst neulich im Covarrubias nachgeschlagen.« Luisa sah meine nur halbwissende Miene. »Kennst du den nicht? Den Thesaurus der spanischen Sprache:
Tesoro de la lengua castellano o española,
unser erstes Wörterbuch aus dem Jahr 1611, verfasst von Sebastián de Covarrubias.« Sie stand auf und holte einen grünen Band, der in der Nähe lag, und blätterte darin. »Ich hatte den Begriff ›Neid‹ gesucht, um ihn mit der englischen Definition zu vergleichen, und hör nur, wie sein Eintrag dazu endet.« Sie las laut vor. »›Am Ärgsten ist, daß dieses Gift oftmals dem Busen derer entspringt, die uns am meisten freund sind, und wir vertrauen ihnen, da wir sie als solche ansehen; diese sind verderblicher als die erklärten Feinde.‹ Eine Erkenntnis, die noch weit älter ist, denn sieh nur, was er hinzufügt: ›Dies Thema ist allgemein bekannt und von vielen erörtert; es ist nicht mein Bestreben, umzugraben, was andere aufgehäuft haben. Hierbei mag es bleiben.‹« Sie klappte das Buch zu, setzte sich wieder und legte es in den Schoß, nicht wenige Merkzettel ragten aus seinen Seiten. »Mein Geist wäre mit anderem beschäftigt, nicht nur mit Klagen und Sehnen. Er fehlt mir immerzu, weißt du? Fehlt mir beim Aufwachen, beim Hinlegen, beim Träumen und den ganzen Tag dazwischen, als trüge ich ihn ständig mit mir, als hätte ich ihn mir einverleibt, buchstäblich.« Sie blickte auf ihre Arme, als ruhte der Kopf ihres Mannes darauf. »Manche sagen mir: ›Bewahr dir die guten Erinnerungen, nicht diese letzte, denk an all die wundervollen Augenblicke, die andere nicht einmal kennen.‹ Die Leute meinen es gut, begreifen aber nicht, dass alle Erinnerungen nun gefärbt sind vom traurigen, blutigen Ende. Immer wenn ich mich an etwas Gutes erinnere, taucht sofort das letzte Bild auf, das seines willkürlichen, grausamen Todes, so vermeidbar, so sinnlos. Ja, das macht mir am meisten zu schaffen: so ganz ohne Schuldigen, so sinnlos. Dann trübt sich die Erinnerung ein und wird zu einer schlechten. Im Grunde bleibt mir keine gute mehr. Alle kommen sie mir blauäugig vor. Alle sind sie verdorben.«

Sie schwieg und schaute zum Nachbarzimmer, wo die Kinder saßen. Man hörte den Fernseher, also war wohl alles in Ordnung. Soweit ich gesehen hatte, waren die Kinder gut erzogen, weit besser, als es heute die Regel ist. Seltsamerweise empfand ich es weder als befremdlich noch als einen Überfall, dass Luisa so vertraulich mit mir sprach wie zu einer Freundin. Vielleicht konnte sie von nichts anderem reden, und nach den Monaten seit Devernes Tod waren alle in ihrem nächsten Umkreis von ihrer Betroffenheit, ihrem Kummer

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