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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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obendrein kann ich es keinem erzählen, was allein uns ein klein wenig für das schwerste Unheil entschädigt, nie weiß man, welche Maske, welche Gestalt dein Tod annehmen wird, persönlich und einzigartig, immer einzigartig, auch wenn man die Welt bei einer Katastrophe gemeinsam mit vielen anderen verlässt, doch man kann sich so einiges ausmalen, eine Erbkrankheit, eine Epidemie, einen Autounfall, einen Flugzeugabsturz, Organversagen, einen Terroranschlag, einen Hauseinsturz, eine Zugentgleisung, einen Infarkt, ein Feuer, gewalttätige Einbrecher, die nach genauer Planung nachts ins Haus eindringen, ja sogar zufällige Begegnungen in einem gefährlichen Viertel, in das man sich leichtfertig vorgewagt hat, gleich nach der Ankunft in einer noch unbekannten Stadt, an solchen Orten war ich schon auf meinen Reisen, vor allem, als ich noch jünger war, viel herumkam, viel riskierte und gespürt habe, dass mir aus Unbesonnenheit, aus Unkenntnis etwas zustoßen könnte, in Caracas, Buenos Aires, México, New York, Moskau, Hamburg, sogar in Madrid, aber nicht hier, sondern in Straßen, die streitlustiger, gedemütigter, finsterer sind, nicht in dieser ruhigen Gegend, hell und wohlhabend, wo ich mehr oder weniger zu Hause bin und die ich wie meine Westentasche kenne, nicht beim Aussteigen aus meinem Wagen wie an so vielen Tagen, warum heute und nicht gestern oder morgen, warum heute und warum ich, es hätte jeden anderen treffen können, ohne weiteres auch Pablo, der vorher einen sehr viel ernsteren Zusammenstoß mit ihm hatte als ich, hätte er ihn doch angezeigt, als dieser Berserker ihm den Faustschlag versetzt hat, und ich selbst hatte ihm auch noch abgeraten, ich Schwachkopf, mir tat der Mann leid, dessen Namen ich nicht mal kenne, dann hätten wir ihn uns vom Leib geschafft, und gestern erst bin auch ich gewarnt worden, wie mir jetzt einfällt, erst gestern hat er mich angepöbelt, und ich wollte es einfach nicht ernst nehmen, habe es schleunigst vergessen, dabei hätte ich es befürchten, hätte vorsichtiger sein müssen, hätte einige Tage lang nicht mehr in seinem Revier auftauchen sollen oder bis er mich nicht mehr im Visier hat, hätte mich nicht heute in Reichweite dieses tobsüchtigen Wahnsinnigen begeben sollen, der mir wieder und wieder unbeirrt sein Messer hineinsticht, das bestimmt völlig verdreckt ist, aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an, eine Infektion ist nicht erforderlich für meinen Tod, schneller bringen mich Messerspitze und Klinge um, die sich in meinen Körper hineinbohren, hineinwinden, wie der Mann stinkt, er ist so nah, seit Ewigkeiten wird er sich nicht gewaschen haben, wohl mangels Gelegenheit, ständig in seinem Autowrack, ich will nicht mit diesem Gestank sterben, das entscheidet man nicht, warum muss mich die Welt, bevor sie mich entlässt, als Letztes ausgerechnet damit umgeben, damit und mit dem Geruch nach Blut, der mich nun überwältigt, ein Geruch nach Eisen und Kindheit, wenn man am häufigsten blutet, es stammt von mir, denn von einem anderen, von ihm kann es nicht stammen, ich habe diesen Verrückten nicht verwundet, stark und kräftig ist er, ich komme nicht gegen ihn an, habe nichts, womit ich ihn aufschneiden könnte, er dagegen hat mich aufgeschlitzt, ist mir in Haut und Fleisch gefahren, durch diese Löcher entschwindet mein Leben, ich verblute, wie viele sind es schon, nichts zu machen, wie viele schon, nun ist es versiegt. Und dann dachte ich noch: Aber er konnte nichts davon denken. Oder vielleicht doch, komprimiert.

»Es ist nicht an mir, Ratschläge zu erteilen«, sagte ich zu Luisa, nachdem sich mein Schweigen in die Länge gezogen hatte, »aber ich finde, du solltest nicht so viel darüber nachdenken, was ihm in den Augenblicken damals durch den Kopf gegangen ist. Sie waren doch so kurz, so verschwindend gering im Ganzen seines Lebens, vielleicht blieb ihm nicht einmal Zeit zum Denken. Es hat keinen Sinn, dass sie für dich noch immer andauern, all diese Monate lang, womöglich länger noch, es bringt dir nichts. Und ihm ebenso wenig. Wie du es auch drehst und wendest, du kannst nicht erreichen, dass du bei ihm warst in jenen Minuten, dass du mit ihm gestorben bist oder an seiner Stelle oder dass du ihn gerettet hast. Du warst nicht da und hast nichts gewusst, das kannst du nicht ändern, sosehr du dich bemühst.« Mir fiel ein, dass ich mich gerade selbst noch viel ausführlicher mit diesen geliehenen Gedanken aufgehalten hatte, wenn auch angeregt oder

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