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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ist hier um die Ecke, und er schafft es nicht ins Hotel und zurück. Das macht dir doch nichts, oder?« Dann stellte er sie einander vor: »Professor Francisco Rico, Luisa Alday.« »Aber nein, es ist mir eine Ehre«, hörte ich Luisas Stimme. »Ich habe Besuch, kommt rein, kommt rein. Was wollt ihr trinken?«
    Professor Ricos Gesicht war mir wohlbekannt, oft genug erscheint er im Fernsehen oder in der Zeitung, mit seinem molligen Mund, der blanken, stilvoll getragenen Glatze, der etwas zu großen Brille, seiner lässigen Eleganz – ein Hauch England, ein Hauch Italien –, dem verächtlichen Tonfall und dem halb achtlosen, halb scharfzüngigen Wesen, vielleicht seine Art, eine tiefsitzende Melancholie zu verbergen, die man in seinem Blick bemerkt, als wäre er ein Mann, der sich der Vergangenheit zugehörig fühlt und bedauert, Umgang mit seinen Zeitgenossen pflegen zu müssen, die meisten davon ignorant und banal, doch als beklagte er zugleich im Voraus, diesen Umgang eines Tages abbrechen zu müssen – er war für ihn wohl auch eine Atempause –, wenn sein Gefühl schließlich mit der Wirklichkeit zusammenfallen würde. Als Erstes wies er zurück, was sein Begleiter gesagt hatte:
    »Hör mal, Díaz-Varela, ich stehe nie bloß auf der Straße rum, selbst wenn ich mich auf der Straße befinde und tatsächlich nicht weiß, was tun, im Übrigen nicht selten bei mir. In Sant Cugat, wo ich wohne«, diese Erklärung richtete er mit beidseitigen Blicken an Luisa und mich, die man noch nicht vorgestellt hatte, »gehe ich oft aus dem Haus und merke plötzlich, dass ich nicht weiß, weshalb ich ausgegangen bin. Oder ich fahre nach Barcelona hinein und kann mich dort partout nicht mehr an den Grund meiner Ortsveränderung erinnern. Dann bleibe ich ein Weilchen stehen, laufe nicht etwa auf und ab, trete nicht auf der Stelle, bis mir mein Vorhaben in den Sinn kommt. Nicht einmal in dem Fall stehe ich auf der Straße rum, ja ich bin einer der wenigen Menschen, die in der Lage sind, untätig und ratlos auf der Straße zu stehen, ohne diesen Eindruck zu erwecken. Im Gegenteil, ich weiß genau, dass ich den Eindruck tiefster Konzentration vermittele: als stünde ich jederzeit vor einer entscheidenden Entdeckung oder vollendete im Geiste ein hochkomplexes Sonett. Wenn mich ein Bekannter in diesem Zustand erblickt, wagt er nicht einmal, mich zu grüßen, obwohl ich allein und stockstill mitten auf dem Gehweg stehe (niemals lehne ich mich an die Mauer, denn das erweckt sehr wohl den Anschein, dass einen jemand versetzt hat), aus Angst, er könnte einen anspruchsvollen Gedankengang oder eine tiefschürfende Überlegung unterbrechen. Auch einen Gewaltakt habe ich nicht zu befürchten, denn meine strenge, entrückte Miene hält alle Bösewichte fern. Sie merken, dass ich ein Mensch bin, dessen Verstandeskräfte wach und rege sind (in der Vulgärsprache: topfit), und wagen es nicht, sich mit mir anzulegen. Sie spüren, dass das gefährlich für sie wäre und ich mit beispielloser Heftigkeit und Flinkheit reagieren würde. Dixit.«
    Luisa entschlüpfte ein Lachen, und ich glaube, mir ebenfalls. Dass sie so schnell von der vorhin geschilderten Beklemmung in Belustigung über jemanden verfallen konnte, den sie gerade erst kennengelernt hatte, brachte mich erneut auf den Gedanken, dass sie eine große Begabung zur Freude hatte und – wie soll ich sagen – zu einem alltäglichen, augenblicklichen Glück. Solche Menschen gibt es nicht oft, doch es gibt sie, Leute, die sich im Unglück langweilen und ungeduldig werden und bei denen es wenig Zukunft hat, auch wenn es sich klar ersichtlich und unleugbar eine Zeitlang an ihnen gemästet haben mag. Soweit ich Desvern hatte beobachten können, war er wohl ebenso gewesen, und falls Luisa gestorben und er zurückgeblieben wäre, hätte er, wie mir schien, ähnlich reagiert wie jetzt seine Frau. (Wäre er am Leben und Witwer, ich wäre nicht hier, dachte ich.) Ja, manche dulden das Unglück nicht lange. Sie sind nicht etwa leichtlebige, geistlose Menschen. Selbstverständlich leiden auch sie darunter, wenn es sie ereilt, genau wie jeder andere. Aber sie sind dazu bestimmt, es bald abzuschütteln, sowenig sie sich auch darum bemühen, als handelte es sich um eine Art Unvereinbarkeit. Sie sind von Natur aus unbekümmert und vergnügt und sehen kein Verdienst im Leiden – im Unterschied zum Großteil der leidigen Menschheit –, und unserer Natur entkommen wir nicht, kaum etwas kann sie

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