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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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War’s das Wort ›Eier‹? Na, ihr seid mir ja etepetete. Ein viel schlimmeres hätte ich benützen können, ›Eier‹ ist letztlich ein Euphemismus. Vulgär, überdeutlich und überstrapaziert, gebe ich zu, aber es ist und bleibt ein Euphemismus.«
    »Was ist etepetete? Was sind Eier?«, fragte der Junge, dem die Gebärde des Professors in Richtung Leistengegend nicht entgangen war. Zum Glück achtete keiner auf ihn, es kam keine Antwort.
    Luisa fasste sich sofort und merkte, dass sie mich noch nicht vorgestellt hatte. Sie erinnerte sich tatsächlich nicht an meinen Nachnamen, denn die beiden Männer benannte sie in aller Form (»Professor Francisco Rico; Javier Díaz-Varela«), bei mir führte sie, wie man es bei Kindern tut, nur den Vornamen an und fügte zum Ausgleich meinen Spitznamen hinzu (»meine neue Freundin María; Miguel und ich haben sie immer die junge Besonnene genannt, wenn wir sie fast täglich beim Frühstück sahen, aber bis heute hatten wir noch nie miteinander geredet«). Ich hielt es für angebracht, ihrer Vergesslichkeit abzuhelfen (»María Dolz«, vervollständigte ich). Dieser Javier musste der sein, den sie vorhin als einen von »Miguels besten Freunden« bezeichnet hatte. Jedenfalls war es der Mann, den ich am Morgen Devernes ehemaligen Wagen hatte lenken sehen, der die Kinder vom Café abgeholt hatte, um sie vermutlich in die Schule zu bringen, etwas später als üblich. Er war also nicht der Chauffeur, wie ich geglaubt hatte. Vielleicht hatte sich Luisa eingebildet, auf ihn verzichten zu müssen, wer verwitwet ist, reduziert in einer reflexartigen Geste des Zurückziehens oder Entsagens als Erstes die Ausgaben, selbst wenn man ein Vermögen geerbt hat. Ich wusste nicht, wie ihre finanzielle Lage aussah, vermutlich nicht schlecht, doch womöglich empfand sie diese als misslich, auch wenn sie es keineswegs war, die ganze Welt gerät nach einem ernsten Todesfall ins Wanken, nichts wirkt mehr verlässlich und stabil, und der engste Angehörige neigt dazu, sich zu fragen: ›Wozu dieses, wozu jenes, wozu das Geld, wozu ein Geschäft mit seinen Tücken, wozu eine Wohnung, eine Bibliothek, wozu ausgehen, arbeiten und Pläne machen, wozu Kinder haben, wozu überhaupt etwas. Nichts dauert lang genug, denn alles geht zu Ende, und wenn es zu Ende ist, stellt sich heraus, dass es nie lang genug gedauert hat, mögen es auch hundert Jahre gewesen sein. Miguel hat für mich nur ein paar wenige gedauert, weshalb soll etwas von dem überdauern, was er hinterlassen hat und was ihn noch überlebt. Weder das Geld noch die Wohnung, weder ich noch die Kinder. Wir alle sind im Ungewissen und in Gefahr.‹ Ebenso gibt es den Reflex, ein Ende zu machen: ›Ich wollte, ich wäre bei ihm, und die einzige Region, in der wir sicher zusammentreffen könnten, ist die Vergangenheit, das Nichtsein, das einst gewesen ist. Er ist bereits Vergangenheit, ich dagegen bin noch Gegenwart. Wäre ich Vergangenheit, könnte ich wenigstens darin mit ihm gleichziehen, immerhin etwas, müsste ihn nicht vermissen, mich nicht an ihn erinnern. Ich befände mich in dieser Hinsicht auf derselben Ebene, in seiner Dimension oder Zeit, bliebe nicht mehr in dieser misslichen Welt zurück, die uns nach und nach alle Gewohnheiten nimmt. Nichts wird uns mehr genommen, wenn man uns aus dem Spiel nimmt. Nichts endet mehr für uns, wenn man selbst geendet hat.‹

Es war männlich, gelassen und gutaussehend, dieser Javier Díaz-Varela. Obwohl sorgfältig rasiert, ließ sich sein Bart erraten, ein leicht bläulicher Schatten, vor allem auf Höhe des Kinns, energisch wie das eines Comic-Helden (Blickwinkel und Lichteinfall zeigten es mal gespalten, mal glatt). Er hatte eine behaarte Brust, etwas Flaum schaute aus dem Hemd hervor, dessen oberster Knopf offen war, eine Krawatte, die bei Desvern nie gefehlt hatte, trug er nicht, sein Freund war etwas jünger. Das Gesicht war feingeschnitten, mit schmalen Augen von kurzsichtigem oder träumerischem Ausdruck und langen Wimpern, mit einem üppigen, festen Mund, so tadellos konturiert, als hätte man die Lippen einer Frau ins Gesicht eines Mannes verpflanzt, es fiel schwer, nicht auf sie zu achten, den Blick abzuwenden, ob sie sprachen oder schwiegen, sie zogen die Augen magnetisch an. Sie machten Lust, sie zu küssen, zu berühren, mit dem Finger die perfekt geschwungenen Linien nachzufahren, wie von einem feinen Pinsel gemalt, und dann mit der Kuppe das Rot zu befühlen, zugleich straff und weich. Er

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