Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
Vom Netzwerk:
biegen oder brechen. Vielleicht war es bei Luisa ein einfacher Mechanismus: Sie weinte, wenn man sie zum Weinen, lachte, wenn man sie zum Lachen brachte, und eines konnte nahtlos ins andere übergehen, sie reagierte nur auf den entsprechenden Reiz. Aber die Einfachheit steht nicht im Widerspruch zur Intelligenz. Dass sie Letztere besaß, stand für mich außer Frage. Ihr Mangel an Bosheit, ihr promptes Lachen taten ihr keinerlei Abbruch, denn beides hängt nur vom Charakter ab, eine Kategorie, eine Sphäre für sich.
    Professor Rico trug ein hübsches Sakko in Nazigrün und eine lässig gelockerte Krawatte, ihr Ton satter, leuchtender – sagen wir melonengrün –, über einem elfenbeinfarbenen Hemd. Alles harmonierte, ohne dass Überlegung bei der gelungenen Kombination im Spiel gewesen zu sein schien, obwohl das kleegrüne Einstecktuch vielleicht ein Grün zu viel war.
    »Aber du bist doch einmal hier in Madrid überfallen worden, Herr Professor«, warf der als Díaz-Varela Angesprochene ein. »Ist viele Jahre her, aber ich erinnere mich gut daran. Mitten auf der Gran Vía, nachdem du aus einem Automaten Geld gezogen hattest, war’s nicht so?«
    Dem Professor behagte diese Gedächtnisauffrischung gar nicht. Er zog eine Zigarette hervor und zündete sie an, als wäre dieser Akt ohne die vorher eingeholte Erlaubnis heutzutage so normal wie vor vierzig Jahren. Luisa reichte ihm sogleich einen Aschenbecher, den er mit der anderen Hand nahm. Dann breitete er die Arme mit den beschäftigten Händen aus und sagte wie ein Orator, der unter Lüge und Dummheit zu leiden hat:
    »Der Fall lag vollkommen anders. Das hat nichts miteinander zu tun.«
    »Wieso? Du standest auf der Straße, und der Bösewicht hat dich nicht respektiert.«
    Der Professor vollführte eine herablassende Geste mit der Hand, die die Zigarette hielt, und beförderte sie dabei zu Boden. Er sah sie sich voll Unmut und Neugier an, als wäre es eine wandernde Kakerlake, für die er nicht zuständig war, und als wartete er, dass jemand sie aufhob oder mit einem Fußtritt zerquetschte und wegkickte. Als sich niemand bückte, griff er zur Schachtel und zog eine weitere Zigarette hervor. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass die heruntergefallene einen Brandfleck ins Parkett machen konnte, er zählte wohl zu den Menschen, die nichts als schlimm empfinden und stets annehmen, dass andere alles wieder ins Lot bringen und Mängel beseitigen. Sie erwarten das nicht, weil sie blasiert oder rücksichtslos wären, sondern ihr Kopf nimmt die praktischen Dinge oder die Welt um sie herum einfach nicht wahr. Luisas Kinder hatten hereingeschaut, als es geklingelt hatte, jetzt waren sie ins Wohnzimmer geschlüpft und musterten den Besuch. Der Junge lief, um die Zigarette aufzuheben, doch bevor er sie erreichte, kam seine Mutter ihm zuvor und drückte sie im Aschenbecher aus, in dem ihre von vorhin lag, ebenfalls kaum aufgeraucht. Rico zündete sich die zweite an und rüstete sich zur Antwort. Weder er noch Díaz-Varela wollten sich diese Diskussion entgehen lassen, die beiden gaben einem das Gefühl, im Theater zu sein, als wären da zwei Schauspieler ins Gespräch vertieft auf die Bühne getreten, ohne das Publikum im Saal zu beachten, was im Grunde ja ihre Aufgabe war.
    »Erstens: Ich hatte der Straße den Rücken gekehrt, stand also in dieser unwürdigen Haltung, zu der einen die Geldautomaten zwingen, Gesicht zur Wand, als müsste man in der Ecke stehen, folglich war mein abschreckender Blick nicht sichtbar für den Räuber. Zweitens: Ich war vollauf damit beschäftigt, allzu viele Antworten auf allzu viele müßige Fragen anzutippen. Drittens: Auf die Frage, in welcher Sprache ich mit dem Automaten verkehren wollte, hatte ich Italienisch geantwortet (eine Angewohnheit von meinen zahlreichen italienischen Reisen, ich verbringe mein halbes Leben dort) und war nun abgelenkt, weil ich mir die krassen Orthographie- und Grammatikfehler einprägen wollte, die auf dem Bildschirm erschienen und die ein Schwindler mit einem Humbugitalienisch eingegeben hatte. Viertens: Den ganzen Tag über hatten mich Leute auf Trab gehalten, und mir war keine Wahl geblieben, als gestaffelt über verschiedene Orte verteilt mehrere Gläser zu leeren; unter diesen Bedingungen, müde, leicht beschwipst, ist meine Wachsamkeit nicht auf der Höhe, wäre es bei keinem. Fünftens: Ich war spät dran für eine ohnehin späte Verabredung, war nicht mehr richtig bei der Sache und ganz durcheinander, ich

Weitere Kostenlose Bücher