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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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fürchtete, die Person, die ungeduldig auf mich wartete, könnte die Hoffnung aufgeben und das Lokal verlassen, in dem wir uns wiedertreffen wollten, es hatte mich einige Mühe gekostet, sie zu überreden, den Abend zu verlängern, damit wir uns unter vier Augen sehen konnten; Achtung, nur zum Plaudern. Sechstens: Aus all diesen Gründen war die allererste Warnung, dass man mich überfallen würde, die Geldscheine in der Hand, aber noch nicht in der Tasche, das Kitzeln einer Messerspitze in der Lendengegend, auf die das fragliche Subjekt Druck ausübte und die es tatsächlich etwas ritzte: Als ich mich später nachts im Hotel auszog, sah ich einen blutigen Punkt hier. Hier.« Und er hob die Schöße seines Sakkos, griff sich rasch an eine Stelle oberhalb des Gürtels, so rasch, dass zweifellos keiner der Anwesenden hätte angeben können, wo genau diese Stelle war. »Wer niemals so einen leichten Stich verspürt hat, hier oder an einer anderen lebenswichtigen Stelle, und weiß, dass nur zugestoßen werden muss, und die Spitze wird widerstandslos ins Fleisch eindringen, der kann nicht wissen, dass man in dem Fall nur die Wahl hat, auszuhändigen, was von einem gefordert wird, egal was, und das fragliche Subjekt beschränkte sich auf die Worte: ›Lass rüberwachsen.‹ Man spürt dann ein unerträgliches Kribbeln, merkwürdigerweise in der Leistengegend, das sich auf den ganzen Körper ausdehnt. Aber es entspringt nicht dort, wo man bedroht wird, sondern hier. Hier.« Und er zeigte simultan mit beiden Mittelfingern auf seine beiden Leisten. Zum Glück berührte er sie nicht. »Achtung: Nicht in den Eiern, sondern in den Leisten, das hat nichts miteinander zu tun, obwohl die Leute das leicht verwechseln, sie sagen oft ›die stecken mir schon hier‹ und deuten dabei auf den Kloß in ihrer Kehle«, er fasste seinen Adamsapfel zwischen Daumen und Zeigefinger, »das Kribbeln pflanzt sich nämlich nach oben fort. Nun, wie alle Welt weiß, seit das schwache Rad der Welt sich dreht, ist so etwas ein Hinterhalt, ein heimtückischer Überfall, wogegen man sich, und genau das zeichnet ihn aus, unmöglich wappnen und kaum verteidigen kann. Dixit. Oder soll ich mit der Aufzählung fortfahren? Bis zehntens komme ich mühelos.« Als Díaz-Varela nicht antwortete, nahm er an, dass sich die Diskussion durch erschlagende Beweisführung erledigt hatte, schaute sich erstmals um und nahm mich und die Kinder erst jetzt richtig wahr, im Grunde auch Luisa, obwohl die ihn bereits begrüßt hatte. Im Einzelnen konnte er uns kaum gesehen haben, sonst hätte er, wie ich meine, auf das Wort »Eier« verzichtet, vor allem wegen der Minderjährigen. »Mal sehen, wen gibt’s hier kennenzulernen?«, fuhr er ungezwungen fort.
    Ich merkte, dass Díaz-Varela ernst und still geworden war, aus demselben Grund, aus dem Luisa die drei Schritte zum Sofa gegangen war und sich hatte setzen müssen, ohne zuvor die beiden Männer aufzufordern, ein Gleiches zu tun, als versagten ihr die Beine und sie könnte sich nicht aufrecht halten. Ihr spontanes Lachen von eben war einem Ausdruck der Qual gewichen, der Blick trübe, das Gesicht blass. Ja, es war wohl ein einfacher Mechanismus. Sie legte die Hand an die Stirn und schlug die Augen nieder, ich fürchtete, sie würde zu weinen anfangen. Professor Rico musste nicht unbedingt wissen, was vor ein paar Monaten geschehen war, und wie ein Messer, das bis zum Überdruss zustieß, ihr Leben zerstört hatte, vielleicht hatte ihr Freund es ihm nicht erzählt – aber das war seltsam, fremdes Unglück erzählt sich fast von selbst –, wenn doch, konnte er es vergessen haben: Sein (enormer) Ruf besagte, dass er dazu neigte, bloß weit zurückliegende Informationen zu behalten, aus gründlich vergangenen Jahrhunderten, für die er weltweit als Autorität galt, und Neueres nur duldsam und zerstreut anhörte. Jedes Verbrechen, jedes Ereignis aus dem Mittelalter oder dem Siglo de Oro waren ihm weit wichtiger als alles, was vorgestern geschehen war.
    Díaz-Varela ging fürsorglich zu Luisa, nahm ihre Hände und flüsterte:
    »Ist ja gut, ist ja gut, nicht so schlimm. Wie leid es mir tut. Mir war nicht klar, dass dieser Unsinn so abdriften würde.« Mir schien, er wollte ihr unwillkürlich das Gesicht streicheln, wie man ein Kleinkind tröstet, für das man sein Leben geben würde; doch er unterdrückte den Impuls.
    Aber ebenso wie ich, hörte auch der Professor sein Flüstern.
    »Was ist schlimm? Was habe ich gesagt?

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