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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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schien weise Zurückhaltung zu üben, ließ Professor Rico nach Herzenslust palavern und versuchte nicht im Geringsten, ihm die Schau zu stehlen (was allerdings kaum im Bereich des Möglichen lag). Zweifellos besaß er Sinn für Humor, denn erfolgreich hatte er Stichwortgeber und Gegenstimme gespielt und es ihm ermöglicht, vor Unbekannten zu glänzen, das heißt vor unbekannten Frauen, denn sogleich fiel ins Auge, dass der Professor gern kokettierte und zu den Männern gehörte, die bei fast jeder Gelegenheit Frauen mit theoretischen Avancen torpedieren. Mit theoretisch meine ich, dass sie einer echten Absicht entbehrten, niemanden tatsächlich oder im Ernst erobern sollten (zumindest nicht mich oder Luisa), sondern nur Neugier erwecken und möglichst beeindrucken, auch wenn er die Beeindruckten nie wiedersah. Díaz-Varela amüsierte sich über sein kindisches Aufplustern und ließ ihm reichlich Raum dafür, ja spornte ihn an, als fürchtete er keine Konkurrenz oder hätte ein so klar umrissenes, so heiß ersehntes Ziel, dass er keinerlei Zweifel hatte, es früher oder später zu erreichen, jeder Unwägbarkeit, jeder Bedrohung zum Trotz.
    Ich blieb nicht mehr lange, hatte nichts zu suchen in dieser Runde, zu der Rico sicher spontan, Díaz-Varela wohl gewohnheitsmäßig gestoßen war, er wirkte wie eine altbekannte, ja alltägliche Präsenz in diesem Haus, diesem Leben, dem der verwitweten Luisa. Darin tauchte er, soweit ich wusste, schon zum zweiten Mal an einem Tag auf, und bestimmt verliefen die anderen ebenso, denn als er mit Rico eingetroffen war, hatten ihn die Kinder mit einer Unbefangenheit begrüßt, die schon an Gleichgültigkeit grenzte, als wäre sein Besuch am Abend (sein ›Vorbeischauen‹) eine Selbstverständlichkeit. Sie hatten ihn ja auch am Morgen schon gesehen, die drei hatten eine kurze Strecke gemeinsam im Wagen zurückgelegt. Er schien mehr mit Luisa befasst zu sein als sonst jemand, als ihre Familie, da war zumindest ein Bruder, wie ich wusste, sie hatte ihn in einem Atemzug mit Javier und einem Anwalt genannt. Als einen hinzugekommenen oder angenommenen Bruder sah ihn meiner Ansicht nach Luisa, jemand, der im Haus hin und her, ein und aus geht, im Notfall mit den Kindern oder bei sonst etwas hilft, jemand, auf den man fast immer zählen kann, ohne erst fragen zu müssen, den man im Zweifelsfall automatisch um Rat bittet, der einem Gesellschaft leistet, ohne dass man es extra bemerkt, weder ihn noch seine Gesellschaft, der immer bereitsteht und sich anbietet, spontan und aus freien Stücken, jemand, der nicht anrufen muss, bevor er vorbeikommt, und der nach und nach schleichend das gesamte Terrain mit uns teilt und sich unentbehrlich macht. Jemand, der einfach da ist, ohne dass man besonders auf ihn achtet, und den man unsäglich vermisst, wenn er sich zurückzieht oder verschwindet. Letzteres konnte bei Díaz-Varela in jedem Moment geschehen, denn er war kein bedingungslos und treuergebener Bruder, der sich niemals ganz entfernen wird, sondern ein Freund des toten Mannes, und Freundschaft überträgt sich nicht. Man reißt sie höchstens an sich. Vielleicht war er so ein Herzensfreund, den man in einem Augenblick der Schwäche oder der dunklen Vorahnung um etwas bittet oder mit etwas beauftragt:
    ›Sollte mir etwas zustoßen, und ich wäre nicht mehr da‹, hätte ihm Deverne eines Tages sagen können, ›zähle ich darauf, dass du dich um Luisa und die Kinder kümmerst.‹
    ›Was heißt das? Wovon redest du? Ist etwas mit dir? Was soll das? Du hast doch nichts, oder?‹, hätte Díaz-Varela beunruhigt und erschrocken geantwortet.
    ›Nein, ich denke nicht, dass mir etwas passiert, nicht in nächster Zeit, nicht einmal in fernerer Zukunft, ich frage nur so, ich bin rundum gesund. Aber wenn man an den Tod denkt und sich vor Augen führt, welche Wirkung er auf die Lebenden hat, dann muss man sich ab und an fragen, was nach dem unseren geschehen wird, in welcher Lage die Menschen zurückbleiben, für die wir wichtig sind, wie sehr es sie mitnehmen wird. Ich rede nicht vom Finanziellen, das ist praktisch geregelt, sondern von allem Übrigen. Die Kinder werden eine schlimme Zeit durchmachen, und Carolina wird sich ihr ganzes Leben lang an mich erinnern, immer undeutlicher, immer verschwommener, und wird mich ebendarum idealisieren, denn mit dem Undeutlichen, Verschwommenen kann man nach Lust und Laune umspringen, kann es ins verlorene Paradies umwandeln, in die goldene Zeit, in der alles an

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