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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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Betäubung. Jedenfalls aus einem nicht erwarteten Gespräch, unangemessen und unheilvoll.
    ›Du hast mein Ehrenwort, was immer du willst, du kannst auf mich zählen‹, hätte er gesagt. ›Aber sei so gut, geh mir nie wieder damit auf den Geist, es wird einem ganz anders davon. Komm, trinken wir ein Glas und reden über weniger makabre Dinge.‹
    »Was ist denn das für eine Mistausgabe«, hörte ich Professor Rico murmeln, der einen Band aus dem Regal zog, er hatte die Bücher inspiziert, als wäre er allein im Zimmer. Ich sah, dass es eine Ausgabe des
Don Quijote
war, die er sich mit spitzen Fingern griff, als schauderte ihm davor. »Wie kann man bloß diese Ausgabe haben, da es meine gibt. Alles nur intuitive Torheit ohne Methode, ohne Wissenschaft, nicht mal eigene Einfälle sind drinnen, jede Menge abgeschrieben. Und noch dazu im Haus einer Dozentin, wenn ich recht verstanden habe. So weit ist es mit der Madrider Universität gekommen«, fügte er hinzu und schaute missbilligend zu Luisa.
    Sie brach in herzhaftes Lachen aus. Obwohl die Rüge an sie gerichtet war, hatte sie die übertriebene Schroffheit amüsiert. Díaz-Varela lachte ebenfalls, vielleicht rein mimetisch, vielleicht schmeichelnd – für ihn konnten Ricos Dreistigkeit oder die Freiheiten, die er sich herausnahm, keine Überraschung sein –, und er wollte ihm noch mehr davon aus der Nase ziehen, womöglich, um zu sehen, ob Luisa weiterlachte und den Kummer von eben vergaß. Allerdings wirkte er spontan dabei. Er konnte bezaubern, und wenn er es nur spielte, dann lag ihm das Spielen sehr.
    »Na, du behauptest doch nicht etwa, der Herausgeber dieser Ausgabe sei keine Autorität, in manchen Zirkeln anerkannter als du«, sagte er zu Rico.
    »Pah, anerkannt von Ignoranten und Kastraten, von denen dieses Land fast überläuft, oder in den Lesezirkeln der erbärmlichsten, faulsten Dörfer«, entgegnete der Professor. Er schlug den Band auf einer beliebigen Seite auf, warf einen missmutigen, schnellen Blick hinein, und sein Zeigefinger donnerte auf eine Zeile nieder wie ein Keulenschlag. »Schon hier ein Riesenpatzer.« Sogleich schlug er es zu, als brauchte er mehr nicht zu sehen. »Das werde ich ihm in einem Artikel unter die Nase reiben.« Triumphierend reckte er das Kinn, lächelte von einem Ohr zum anderen (ein mächtiges Lächeln, sein elastischer Mund machte es möglich) und fügte hinzu: »Und neidisch ist er auch auf mich.«

II
    Sehr viel später erst sollte ich Luisa Alday wiedersehen, und im langen Dazwischen begann ich eine halbherzige Beziehung zu einem Mann und verliebte mich dumm und stillschweigend in einen anderen, der in sie verliebt war, verliebte mich in Díaz-Varela, den ich bald schon an einem Ort traf, der für Begegnungen kaum in Frage kommt, unweit der Stelle, an der Deverne getötet worden war, im rötlichen Bau des Naturkundemuseums gleich neben der Technischen Hochschule für Industrieingenieure oder vielmehr im selben Komplex, mit seiner glänzenden Kuppel aus Glas und Zink, an die siebenundzwanzig Meter hoch und fast zwanzig im Durchmesser, um 1881 errichtet, als der gesamte Bau weder Hochschule noch Museum war, sondern der nagelneue Palast für Kunst und Gewerbe, der damals eine bedeutende Ausstellung beherbergte, in dieser Gegend, die früher Altos del Hipódromo geheißen hatte, weil es dort ein paar Anhöhen gab und früher Pferde, deren einstige Glanzleistungen nun doppelt oder definitiv gespenstisch geworden sind, da wohl keiner mehr am Leben ist, der sie bezeugt hat oder sich an sie erinnert. Das Naturkundemuseum ist armselig, vor allem im Vergleich zu den englischen, aber manchmal ging ich mit meinen kleinen Neffen hin, damit sie die reglosen Tiere in ihren Schaukästen sahen und sich mit ihnen vertraut machten, und seitdem hatte ich eine gewisse Vorliebe dafür entwickelt, schaute von Zeit zu Zeit vorbei, mischte mich – unsichtbar für sie – unter die Schulklassen, die eine erregte oder geduldige Lehrerin begleitete, und unter die verirrten Touristen, die Zeit im Überfluss besitzen und aus einem allzu genauen, erschöpfenden Stadtführer von seiner Existenz erfahren haben: Sieht man von den zahllosen Wärtern ab, heutzutage fast immer Lateinamerikaner, sind das gewöhnlich die einzigen lebenden Wesen an diesem Ort, unwirklich, überflüssig und feenhaft wie alle Naturkundemuseen.
    Ich schaute mir gerade das Modell eines mächtig klaffenden Krokodilrachens an – der mich mühelos aufnehmen könnte, wie

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