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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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ich immer dachte, und was für ein Glück es war, nicht an einem Ort zu leben, an dem es solche Reptilien gab –, als mich jemand beim Namen rief und ich mich umdrehte, beunruhigt, da es so unerwartet kam: In diesem halbleeren Museum wiegt man sich in der fast vollkommenen, tröstlichen Gewissheit, dass augenblicklich niemand weiß, wo man sich aufhält.
    Ich erkannte ihn sofort, seine femininen Lippen, das täuschend gespaltene Kinn, das ruhige Lächeln, die zugleich aufmerksame und lässige Miene. Er fragte, was mich hierher gebracht habe, und ich antwortete: »Ab und an komme ich gern her. Ein Ort voll friedlicher Raubtiere, denen man sich nähern kann.« Kaum hatte ich das gesagt, fiel mir ein, dass es eigentlich wenig Raubtiere hier gab, der Satz dumm war und ich mich nur hatte interessant machen wollen, vermutlich mit verheerendem Ergebnis. »Ein friedlicher Ort«, schloss ich ohne weitere Ausschmückungen. Auf dieselbe Frage, was ihn hierher gebracht habe, erwiderte er: »Auch ich komme ab und an gern her«, ich wartete nun auf eine Dummheit seinerseits, zum Unglück jedoch vergebens, denn Díaz-Varela wollte mich nicht beeindrucken. »Ich wohne ganz in der Nähe. Wenn ich einen Spaziergang mache, führen mich meine Schritte gelegentlich bis hierher.« Das mit den Schritten, die ihn führten, schien mir einen Hauch gestelzt und kitschig zu sein, und ich schöpfte ein wenig Hoffnung. »Dann setze ich mich ein Weilchen draußen ins Café und gehe wieder nach Hause. Komm, trinken wir etwas, ich lade dich ein, es sei denn, du willst dir noch mehr von diesen Reißzähnen anschauen oder andere Säle.« Draußen gibt es vor der Hochschule, noch auf der Anhöhe unter Bäumen, einen Getränkekiosk mit Tischen und Stühlen im Freien.
    »Nein«, antwortete ich, »die kenne ich auswendig. Ich wollte nur noch kurz hinunter, um mir die absurden Adam- und Evafiguren anzusehen.« Keine Reaktion, kein ›ach ja‹ oder etwas in der Art, wie jeder gesagt hätte, der häufig in das Museum kommt: Im Keller steht ein senkrechter, nicht sehr großer Schaukasten, von einer Amerikanerin oder Engländerin entworfen, einer gewissen Rosamond Soundso, eine skurrile Darstellung des Gartens Eden. Alle Tiere rund um die Stammeltern scheinen lebendig zu sein, tummeln sich, horchen auf, Affen, Hasen, Pfauen, Kraniche, Dachse, vielleicht ein Tukan, sogar die Schlange, die mit allzu menschlicher Miene zwischen den sattgrünen Blättern des Apfelbaums hervorlugt. Adam und Eva dagegen stehen jeder für sich, beide bloß Knochengerippe, und das Laienauge kann sie nur dadurch unterscheiden, dass eines in der Rechten den Apfel hält. Bestimmt habe ich einmal das Schild dazu gelesen, aber ich erinnere mich nicht, dass es eine zufriedenstellende Erklärung dafür gegeben hätte. Wenn das männliche und weibliche Skelett gezeigt und ihre Unterschiede deutlich gemacht werden sollten, bleibt unverständlich, weshalb es unbedingt unsere Ureltern sein mussten, wie man sie dem alten Glauben nach nannte, dazu in diesem Ambiente; und wenn hier das Paradies mit doch recht armseliger Fauna dargestellt werden sollte, versteht man die Skelette nicht, da alle Tiere Fleisch, Fell oder Federn haben. Es ist eine der widersprüchlichsten Installationen im Naturkundemuseum, keinem Besucher kann sie entgehen, nicht wegen ihrer Schönheit, sondern wegen ihrer Unsinnigkeit.
    »María Dolz, nicht wahr? Dolz stimmt doch, oder?«, sagte Díaz-Varela, nachdem wir uns vor den Kiosk gesetzt hatten, als wollte er sich mit seiner Merkfähigkeit, seinem guten Gedächtnis brüsten, letztlich hatte damals nur ich meinen Nachnamen genannt, hastig dazu, hatte ihn als Einsprengsel untergemischt, das keinen Anwesenden juckte. Ich fühlte mich durch diese Aufmerksamkeit geschmeichelt, doch nicht umworben.
    »Du hast ein gutes Gedächtnis und ein gutes Ohr«, sagte ich, um nicht unhöflich zu sein. »Ja, Dolz stimmt, nicht Dols oder Dolç mit Cedille.« Ich malte eine Cedille in die Luft. »Wie geht es Luisa?«
    »Ach, du hast sie nicht wiedergesehen. Ich dachte, ihr hättet Freundschaft geschlossen.«
    »Ja, soweit man das so nennen kann, was nur einen Tag gedauert hat. Ich habe sie damals bei ihr zu Hause zum letzten Mal gesehen. Da hatten wir uns sehr gut verstanden, und tatsächlich hat sie mit mir wie zu einer Freundin geredet, ihr beklagenswerter Zustand wird der Grund gewesen sein. Aber danach habe ich sie nicht mehr getroffen. Wie geht es ihr?«, hakte ich nach. »Du siehst sie

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