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Die sterblich Verliebten

Die sterblich Verliebten

Titel: Die sterblich Verliebten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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finden sich niemals ganz damit ab, dass keiner je wieder unter uns wandelt, sich im Grabe umdreht oder die geringste Ahnung von dem hat, was nach seinem letzten Atemzug geschieht. Sonst könnte man auch denken, dass es für einen Ungeborenen von Bedeutung wäre, was auf der Welt vor sich geht. Dem, der noch nicht existiert, muss alles so gleichgültig sein wie dem, der bereits gestorben ist. Beide sind sie nichts, beiden fehlt das Bewusstsein, der Erste ahnt nichts von seinem Leben, der Zweite kann sich an seines nicht erinnern, als hätte er es nie gelebt. Sie befinden sich auf der gleichen Ebene, sind nicht und wissen nichts, so schwer es uns fällt, das zuzugeben. Welche Bedeutung hat es für mich, was passiert, wenn ich einmal fort bin. Für mich zählt nur, was ich jetzt glaube und vorhersehe. Ich glaube, es wäre besser für meine Kinder, dass du in ihrer Nähe bleibst, wenn ich nicht mehr bin. Ich sehe vorher, dass Luisa sich schneller aufrappeln, weniger leiden würde, wenn sie dich als Freund zur Seite hätte. Ich kann mir nicht fremde Mutmaßungen anverwandeln, nicht einmal deine oder Luisas, ich muss mich an meine halten, und ich kann mich euch anders nicht vorstellen. Also bitte ich dich für den Fall, dass mir etwas zustoßen sollte, noch einmal um das Versprechen, dich um sie zu kümmern.‹
    Díaz-Varela hätte wohl noch ein wenig weiterdiskutiert:
    ›Ja, zum Teil hast du recht. Aber in einem Punkt nicht: Ein Ungeborener und ein Toter sind nicht das Gleiche, denn wer stirbt, hinterlässt Fußstapfen und weiß das. Er weiß, dass er von nichts mehr eine Ahnung haben, jedoch Spuren und Erinnerungen hinterlassen wird. Dass man ihn vermissen wird, du selbst sagst das, und dass die Menschen, die ihn kannten, nicht weiterleben werden, als hätte er nicht existiert. Manch einer wird sich ihm gegenüber schuldig fühlen, wird wünschen, ihn zu Lebzeiten besser behandelt zu haben, wird um ihn weinen und nicht begreifen, dass er niemals Antwort gibt, wird über seine Abwesenheit verzweifeln. Niemandem fällt es dagegen schwer, über den Verlust eines Ungeborenen hinwegzukommen, höchstens bei einer Fehlgeburt kann die Mutter sich nur langsam von der Hoffnung verabschieden, wird sich ab und an fragen, was das für ein Kind geworden wäre. Doch eigentlich kann in dem Fall nicht von Verlust die Rede sein, nicht von Leere, von vergangenen Begebenheiten. Wer jedoch gelebt hat und gestorben ist, verschwindet nicht vollends, überdauert zumindest noch zwei Generationen; seine Taten sind verbürgt, und das weiß er beim Sterben. Er weiß, dass er nichts mehr sehen, nichts mehr erfahren kann, dass er von nun an zur Unwissenheit verurteilt ist und die Geschichte mit ebendiesem Augenblick endet. Aber du selbst sorgst dich darum, was deine Frau und Kinder erwartet, hast deine finanziellen Angelegenheiten in Ordnung gebracht, bist dir der Lücke bewusst, die du hinterlassen wirst, und bittest mich, sie auszufüllen und dich bis zu einem gewissen Punkt zu ersetzen, wenn du nicht mehr bist. Nichts davon hätte ein Ungeborener in der Hand.‹
    ›Natürlich nicht‹, hätte Desvern geantwortet, ›aber all das tue ich im Leben, tut ein Lebender, der nichts mit einem Toten zu schaffen hat, auch wenn wir gewöhnlich denken, dass beide ein und derselbe sind, wie immer gesagt wird. Wenn ich tot bin, werde ich kein Mensch mehr sein, nichts mehr regeln, nichts mehr erbitten können, werde keinerlei Bewusstsein, keinerlei Sorgen haben. Auch ein Toter hätte all das nicht in der Hand, darin gleicht er dem Ungeborenen. Ich rede nicht von den anderen, die uns überleben, an uns denken und sich noch in der Zeit befinden, auch nicht von meinem jetzigen Selbst, von dem, der noch nicht fort ist. Der tut und denkt natürlich Dinge, so viel steht fest; er schmiedet Pläne, trifft Maßnahmen und Entscheidungen, will Einfluss nehmen, begehrt, ist verletzlich und kann selbst verletzen. Nein, ich rede von mir als Totem, und in dieser Eigenschaft an mich zu denken, scheint dir schwerer zu fallen als mir. Du darfst uns nicht verwechseln, mich als Lebenden und mich als Toten. Ersterer bittet dich um etwas, was Letzterer nicht wird einfordern, anmahnen oder überprüfen können. Was kostet es dich also, mir dein Wort zu geben. Du kannst es jederzeit brechen und kommst ungeschoren davon.‹
    Díaz-Varela hätte sich mit der Hand über die Stirn gewischt und ihn befremdet, etwas überdrüssig angesehen, als erwachte er aus einer Träumerei, einer

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