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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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zähflüssigen Brei, der auf dem Herd vor sich hin kochte. Ab und zu sah sie mit einem Seufzer zum Fenster hin, das sie gern geöffnet hätte, denn sie fand in dem Qualm, der die ganze Küche erfüllte, kaum Luft zum Atmen. Aber als sie vorhin einen Versuch gewagt hatte, war Ambrose wütend geworden, hatte Mary beschuldigt, ihn erfrieren lassen und ärgern zu wollen und ihr verboten, frische Luft hereinzulassen. Mit einem leisen Stöhnen wischte sie sich den Schweiß von der Stirn.
    »Es ist entsetzlich heiß«, sagte sie.
    Von Ambrose kam ein ärgerliches Knurren.
    »Stell dich nicht so an, und tu deine Arbeit!« schnauzte er. Mary drehte sich um und sah zu ihrem Vater hin, der sich auf der Küchenbank behaglich rekelte und dabei laut schmatzend eine Schüssel Pudding verzehrte. Er war sehr fett geworden in dem halben Jahr, das seit Lettices Tod vergangen war; er trank nicht mehr so viel und aß dafür um so mehr. Er liebte seine Bequemlichkeit und verbrachte den größten Teil des Tages in der Küche. Seine kleinen, stechenden Augen verfolgten Mary mit der Wachsamkeit eines Hütehundes. Er ließ sich von ihr das Essen kochen und das Haus sauberhalten und paßte höllisch auf sie auf. Er wußte, daß sie Tag und Nacht auf Flucht sann, und da sie ihm so überaus nützlich war, war er fest entschlossen, sie nicht entkommen zu lassen.
    Mary war inzwischen der Verzweiflung nahe. Im Frühling hatte
sie Shadow’s Eyes verlassen wollen, aber statt in London lebte sie jetzt im Dezember noch in diesem verdammten Haus und begriff einfach nicht, wie sie so naiv hatte sein können, zu glauben, Ambrose werde sie ungehindert gehen lassen. Nach Frederics Tod war sie gelähmt vor Schmerz gewesen, aber zugleich verändert, erwachsen und entschlossen. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, ihr Vater könne sie noch immer wie ein Kind behandeln, besonders, da sie wußte, daß er ihrer Willenskraft nur seine eigene schlaffe Dummheit entgegenzusetzen hatte. Zu ihrem Unglück aber hatte er eine Reserve mehr, an die sie nicht gedacht hatte: seine körperliche Stärke. Darin war er ihr, besonders gemeinsam mit Edward, überlegen. Sie begriff, daß ihr dagegen weder Intelligenz noch Mut helfen konnten und daß Ambrose nicht davor zurückschrecken würde, sie totzuschlagen, wenn sie zu fliehen versuchte. Im Rausch wuchsen seine Kräfte noch, einmal würgte er sie, bis sie fast die Besinnung verlor, nannte sie ›Lettice‹, spuckte und trat nach ihr, und ließ sie erst los, als Bess, die ein gütiges Schicksal zufällig vorbeigesandt hatte, dazwischentrat und ihn anbrüllte:
    »Laß sie los, Vater, du bringst sie um! Willst du wegen Mord hängen?«
    Er wich zurück und ließ Mary mit schmerzendem Hals, wunden Gliedern und zerschlagenem Gesicht auf dem Boden liegen. Als er am nächsten Morgen wieder nüchtern war, betrachtete er ihr blaues Auge, ihre geschwollenen Lippen und die rötlichen Abdrücke an ihrem Hals mit beinahe wollüstiger Zufriedenheit.
    »Das kannst du jeden Tag haben«, sagte er, »wenn du versuchst fortzulaufen, verstehst du?«
    Mary blieb tatsächlich immer bewacht. Entweder Ambrose oder Edward, einer von beiden war ständig hinter ihr. Sie fanden es bequem, eine Dienstmagd im Haus zu haben. Warum sollten sie sich das Essen selber kochen, wenn Mary das viel besser konnte?
    »Jetzt, wo sie nich’ heiraten kann, is’ es ihre verdammte Pflicht, für ihren alten Vater zu sorgen«, sagte Ambrose und ließ einen der Armen nachts an der Innenseite der Haustür schlafen, damit Mary nicht in der Dunkelheit fliehen konnte. Es gab jetzt wieder Gäste im Armenhaus, verhungerte Gestalten wie eh und je, bereit, für ein
Stück Brot ihre Seele zu verkaufen. Jedem, der einen Fluchtversuch Marys vereitelte, war ein Teller Suppe gesondert versprochen worden, so daß sie nun wie eine Meute scharfer Hunde bereitstanden, über das junge Mädchen herzufallen, sollte es einen Schritt zuviel tun.
    »Du mit deinen siebzehn Jahren«, sagte Ambrose oft zu Mary, »dich werde ich gerade nach London lassen! Was da alles passieren kann! In Schimpf und Schande gerätst du! Nein, du gehörst in mein Haus, so lange, bis ein Mann kommt, der dich heiratet und der dann auf dich aufpaßt.«
    »Aber ich habe fast vier Jahre in London gelebt, als ich noch jünger war«, erwiderte Mary heftig, »und ich habe mich ganz gut behauptet! «
    »Ach was! Ganz schön verdorben bist du wiedergekommen und hast dich als erstes diesem Belville an den Hals geworfen, der

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