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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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panischen Entsetzens, daß es der Priester nicht wagte, sie gehen zu lassen. Sie hatte zunächst nur bewegungslos in einer Ecke gekauert und achtundvierzig Stunden gebraucht, ehe sie weinen konnte, aber dann steigerte sich ihr Schluchzen zu furchtbaren Weinkrämpfen, sie erlitt einen Asthmaanfall, schlug mit den Fäusten an die Wand und bettelte schreiend darum, man möge sie gehen lassen, weil sie selber nach Marmalon wollte und sehen, ob es stimmte, was man sich erzählte. Schließlich brach sie erschöpft und zitternd zusammen. Der Priester ließ den alten Doktor von Shadow’s Eyes kommen, aber auch der stand etwas ratlos vor dem zusammengekrümmt zu seinen Füßen liegenden Mädchen.
    »Geben Sie ihr Baldrian«, sagte er. »Das ist das einzige, was ich jetzt raten kann. Und sonst – es braucht eine Zeit, bis ein gebrochenes Herz heilt, und wir können nichts dazu tun.«
    Der Überfall auf Marmalon war der letzte große Schlag in diesem Winter gewesen. Ein Kloster hatte gebrannt, ein paar Verhaftungen, einige Hinrichtungen hatte es gegeben, dann ebbte diese erste Welle wieder ab und die Menschen beruhigten sich.

    Man erzählte, die Soldaten seien etwa um vier Uhr morgens über Marmalon hergefallen – aus irgendeinem Grund hatte es Zeugen dafür gegeben, aber Mary wunderte sich nicht mehr, daß es immer Menschen gab, die die abenteuerlichsten Dinge mitbekamen – sie hätten die Türen eingeschlagen und seien in das Haus eingedrungen. Im Keller fanden sie den jungen Priester und Belville, die dort seit Tagen frierend und allmählich auch hungernd hausten. Beide wurden hinaufgezerrt und auf den Hof geführt. Den Priester führte man davon, Belville mußte stehenbleiben und zusehen, wie die Soldaten an allen Ecken des Anwesens, an Haus, Ställen und Scheunen Feuer legten und in einem gewaltigen, lodernden Scheiterhaufen, der ringsum die Schneefelder erhellte, Marmalon bis auf seine Grundmauern niederbrannten. Frederic hielt plötzlich ein Schwert in der Hand, Gott mochte wissen, wie es ihm gelungen war, es zu ergreifen, aber sein kurzer, verbissener Kampf führte unausweichlich in die Niederlage. Er starb im Schnee von Marmalon, der unter der Wärme des Feuers taute und zu Wasser zerschmolz.
    Am Tag darauf begaben sich ein paar Männer hinaus, um die Leiche zu holen und nach Shadow’s Eyes zu bringen. Der Priester bestattete Frederic auf dem Friedhof neben seinem Vater und ließ seinen Namen in einen Stein meißeln, den er anstelle eines einfachen Holzkreuzes bekam. Betäubt und noch immer nicht ganz fähig, alles zu begreifen, stand Mary neben dem Grab, der einzige Trauergast außer Pater Joshuas Haushälterin, die vom Priester mitgenommen worden war, um Mary beizustehen. Über Nacht war das Wetter umgeschlagen und ein warmer Frühlingswind wehte über das Land. Auf Lettices Grab kamen die Spitzen von Gras zum Vorschein, vom Dach des Pfarrhauses fielen klirrend die Eiszapfen auf die Mauer.
    Es war Ende März, als der Priester Mary endlich gehen ließ. Sie tat auf der Stelle das, was sie seit Wochen hatte tun wollen, sie lief nach Marmalon. Der Weg war ihr noch völlig vertraut und sie ging ihn unbeirrt, obwohl sie bis zu den Knöcheln im Schlamm versank und der Saum ihres Kleides schon nach kurzer Zeit vor Dreck starrte. Sie hastete voran, wurde erst später langsamer, weil sie Angst vor dem hatte, was sie gleich sehen würde.

    Als sie die Anhöhe erklommen hatte, von der aus man den ersten Blick auf Marmalon hatte, blieb sie schwer atmend stehen, denn das letzte Wegstück war steil gewesen. Mit einer langsamen Bewegung strich sie ihr Haar zurück und versuchte hilflos den zerknitterten Stoff ihres Kleides zu glätten. Sie starrte hinab in das Tal zu ihren Füßen, einen Ausdruck fragender Verwunderung auf dem Gesicht.
    »Aber es ist nicht möglich«, sagte sie, »es ist ja nichts mehr da.«
    Von Marmalon war nichts übriggeblieben als die Grundmauern. Rußgeschwärzt standen sie in der matschigen Erde, umgeben von verkohlten Ästen, zerbrochenen Hölzern, Überresten von Stroh und Heu. Dazwischen standen Pfützen, in denen sich die Wolken spiegelten. Es wuchs kein Gras mehr hier, der einstige Hof war nur noch eine verschlammte, zerstörte Wüste, die nichts mehr von der alten, etwas baufälligen Schönheit des einstigen Marmalon ahnen ließ. Nichts, gar nichts war geblieben. Reste der Mauern standen noch, und man konnte erkennen, wo sich einst das Wohnhaus befunden hatte. Aber sonst war alles nur eine große

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