Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
blickte angewidert drein.
»Danke«, sagte er, »ich esse nachher im Wirtshaus. Ich hätte nur gern etwas zu trinken. « Er lächelte Mary zu, sehr verführerisch, wie sie fand. Sie stellte einen Krug mit Bier vor ihn und er hob ihn zu ihr hin.
»Auf dein Wohl, Mary!«
Der Abend wurde sehr unterhaltsam. Nicolas konnte gut erzählen, und vor allem wußte er interessante Neuigkeiten zu berichten. Es stimmte, was Edward bereits im Dorf erfahren hatte, der König hatte die Suprematsakte erlassen und war vom Parlament zum Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche erklärt worden. Die Regierung lag nun in der Hauptsache in den Händen von Thomas
Cromwell, einem Mann, der schon seit Jahren hartnäckig die Gunst des Königs suchte und nun zu dessen erstem Sekretär ernannt worden war, ein Großonkel jenes Oliver Cromwell, der ein Jahrhundert später das englische Parlament durch einen Bürgerkrieg führen, den Stuart-König enthaupten und sich zum alleinherrschenden Lordprotektor aufschwingen würde.
»Cromwell hat Norfolk mit erstaunlich zäher Geschicklichkeit zur Seite gedrängt«, sagte Nicolas, »der Duke of Norfolk hat verbissen versucht, die Staatsgeschäfte in seine Hand zu bekommen, und wahrscheinlich hat er noch lange nicht aufgegeben. Er hat die Bürger Londons hinter sich, aber Cromwell den König. In den nächsten Jahren werden sich die Herren noch manches Duell liefern! «
Mary lauschte hingerissen. Diese Gespräche hatte sie so lange entbehren müssen. Endlich hörte sie wieder etwas von London, vom König, von seiner Regierung, von der Politik des Landes. Und endlich war sie wieder mit einem Menschen zusammen, der Verstand hatte und dessen Gedanken lebendig waren! Zum ersten Mal seit langer Zeit bekamen ihre Augen Glanz und ihre Wangen etwas Farbe.
»Ja, und nun erzählt man sich, der König werde im ganzen Land die Klöster auflösen«, berichtete Nicolas weiter, »in manchen entfernten Provinzen soll er schon begonnen haben. Wenn die Mönche nicht aufmucken, werden sie mit einer kleinen Entschädigung abgefunden und anderen Berufen zugeführt. Aller klösterlicher Besitz fällt an die Krone.«
»Die ihn zweifellos dazu verwenden wird, einflußreiche Edelleute damit zu beglücken und so an sich und ihre Politik zu fesseln«, ergänzte Mary.
Nicolas nickte.
»So ist es. Die Regierung ist korrupt wie eh und je.«
Ambrose lauschte erstaunt. Was redete die kleine Mary so gescheit daher und mischte sich in eine politische Unterhaltung, wo doch jeder wußte, daß Politik Frauen nichts anging. Überhaupt zerbrach er sich schon die ganze Zeit den Kopf, wie gut dieser weltgewandte Nicolas de Maurois seine Mary wohl kannte und ob er am
Ende ihretwegen nach Shadow’s Eyes gekommen war. Nicht auszudenken, wegen Mary! Aber seine Blicke, die unablässig zu ihr gingen, waren recht eindeutig. In Ambrose regte sich plötzlich ein Anflug von Vaterstolz, Mary war, wenn man es recht bedachte, nicht häßlich anzusehen, stark wie Lettice in ihrem Alter. Und bei der Erinnerung daran stöhnte er leise auf.
Nicolas berichtete unterdessen von den Prinzessinnen Mary und Elizabeth:
»Prinzessin Mary ist ja schon vor einiger Zeit für illegitim erklärt worden. Aber sie nimmt’s nicht hin, ums Verrecken nicht. Sie ist jetzt siebzehn Jahre alt und als besondere Demütigung hat man sich ausgedacht, sie zur Hofdame des Babys von Anna Boleyn zu machen, die halb Europa noch immer als Hure bezeichnet! Aber wißt ihr, wie sie sich im Palast zu Hatfield einführte? Man kam ihr entgegen und sagte, man werde sie zur Prinzessin von Wales führen, da warf sie den Kopf zurück und erklärte laut und deutlich vor dem gesamten Hofstaat: Mylords, ich bin die Prinzessin von Wales!« Nicolas lachte.
»Ich bewundere sie. Ich bewundere Tapferkeit, gerade wenn sie aussichtslos ist!«
»Weil Sie selber so tapfer sind, Mr. de Maurois?« fragte Mary spitz.
Er sah sie lange an.
»Weil ich es gern wäre«, sagte er dann, »ich riskiere nichts einfach nur um einer Überzeugung willen, die mir nichts einbringt.«
»Das ist gut!« rief Ambrose. »Das hätte dein Frederic Belville auch so machen sollen, Mary!«
Mary wurde blaß.
»Vater, nicht«, flüsterte sie.
Nicolas zog die Augenbrauen hoch.
»Oh, Frederic Belville! Sag Mary, war das nicht der Mann, von dem du stets mit einem hingebungsvollen Blick sprachst und der hier darauf wartete, deine Hand zum ewigen Beisammensein gereicht zu bekommen?«
»Er ist tot«, sagte Mary mit spröder
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