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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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seine Tage nicht zu erinnern, nicht wie sonst an Rosen, Sonnenstrahlen, die die Fensterbank in ihrem Zimmer warm machten und den hölzernen Wänden einen allerletzten schwachen Kieferngeruch entlockten, heiße Pflastersteine unter nackten Füßen. Dieser Sommer, wenn es ihn gegeben hatte, verschwamm mit den hackenden, unaufhörlichen Stimmen der Familie zu jenem Hintergrund grauer, grausamer Gleichförmigkeit, der ihr Leben von allen Seiten umgab. Es schien ewig so gewesen zu sein und es war jetzt so. Sie lachten schon wieder am Tisch, bellend und unmotiviert, das prahlerische, selbstbejubelnde Gelächter, mit dem sie ihre Unsicherheit zuschütteten. In Mary kroch tiefer Ekel hoch. Sie wollte sich gerade daran machen, das Geschirr abzuwaschen, denn Arbeit lenkte sie noch am ehesten ab, da pochte es draußen laut an der Haustür. Ambrose bekam ein wütendes Gesicht.
    »Das ist am Ende schon wieder einer! Wie soll ich die alle satt kriegen, hä? Verratet mir das mal! Mary, mach die Tür auf!«
    Aber offenbar hatte bereits einer der Armen geöffnet, denn
energische Schritte klangen im Flur, und eine männliche Stimme fragte:
    »Wo ist Mr. Askew? Hier?«
    Die Küchentür wurde aufgerissen, und eine hochgewachsene, dunkle Gestalt erschien auf der Schwelle, mit einer so schwungvollen und fordernden Bewegung, daß Ambrose und Edward zusammenfuhren. Mary ließ den hölzernen Teller, den sie gerade abgetrocknet hatte, zurück in die Waschschüssel fallen. Ihre Augen weiteten sich. Ungläubig stieß sie hervor:
    »Nicolas de Maurois!«
     
    Er war es leibhaftig. Er stand vor ihnen, unverändert der Nicolas, den Mary beinahe zwei Jahre zuvor zum letzten Mal nachts im Sherwood Inn in London gesehen hatte. Er trug seinen wadenlangen Mantel, hohe schwarze Lederstiefel, Stulpenhandschuhe und keinen Hut auf dem kurzgeschnittenen dunklen Haar. Sein Gesicht war noch schmaler geworden, und er wirkte angestrengt, als hätte er eine lange Reise hinter sich, aber seine Augen blitzten herausfordernd wie immer, sein Mund verzog sich zu einem lässigen, spöttischen Lächeln.
    »Mary Askew«, sagte er, »wie reizend, dich wiederzusehen!«
    »Ach... ach, Sie kennen Mary?« fragte Ambrose verwirrt. Er hatte sich unwillkürlich erhoben. Dieser Gast gehörte nicht zu den üblichen Besuchern des Armenhauses. Zwar sahen seine Stiefel abgetragen aus, und der Stoff seines Mantels war dünn, aber er strahlte eine Selbstsicherheit aus, daß jedes Gegenüber, ohne sich länger Rechenschaft darüber abzulegen, in Ehrerbietung verfiel.
    Jetzt trat er näher. Das harte Eisen seines Schwertes schlug klirrend gegen einen Stuhl.
    »Wie die junge Dame gerade mitteilte, heiße ich Nicolas de Maurois«, sagte er, »ich komme aus London. Mary und ich haben uns dort vor einigen Jahren kennengelernt.« Sein Blick glitt zu ihr hinüber und verweilte auf ihr, mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit, der Mary verwirrte. Beschämt wurde sie sich der Tatsache bewußt, daß sie ihr ältestes Kleid trug, ihre Haare ungekämmt waren und ihr Gesicht bleich und abgekämpft wirken mußte. Es war ihr lange
nicht mehr passiert, daß sie verlegen die Augen niedergeschlagen hatte, aber jetzt tat sie es.
    »Oh, aus London kommen Sie, wie interessant«, sagte Edward beflissen, »wollen Sie sich nicht setzen, Mr. de Maurois?«
    »Danke. Übrigens steht draußen noch mein Pferd. Es wäre schön, wenn sich jemand darum kümmern könnte.«
    »Edward, du kümmerst dich um das Pferd von Mr. de Maurois«, befahl Ambrose.
    »Das Pferd ist sehr verschwitzt«, sagte Nicolas, »es muß gründlich abgerieben werden und viel Wasser bekommen. Und Hafer!«
    »Natürlich«, versicherte Edward, der sich wahrscheinlich selbst nicht erklären konnte, weshalb er sich von dem Fremden Befehle erteilen ließ. Mary fand es erheiternd, wie Nicolas, kaum daß er im Haus war, die ganze Familie wie Hühner durcheinanderscheuchte. Mit einem jähen Gefühl der Erleichterung wurde ihr klar, daß sie in ihm einen tatkräftigen Verbündeten gefunden hatte.
    »Setzen Sie sich und seien Sie unser Gast«, sagte Ambrose mit einer einladenden Handbewegung. Nicolas de Maurois gefiel ihm außerordentlich gut. Wie in einem Spiegel sah er genau den Mann, der er ein Leben lang gern gewesen wäre. Eilig fuhr er Mary an:
    »Bring etwas zu essen! Beeil dich!«
    »Ich habe nichts. Es ist alles angebrannt. Wenn Mr. de Maurois etwas essen möchte, mußt du deinen Pudding mit ihm teilen.«
    Ambrose hob drohend die Hand, Nicolas

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