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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Ausgelassenheit und tiefster Schwermut und betranken sich schließlich, um die herzzerreißende Heiligkeit dieser Nacht zu vergessen. Schon jetzt lag eine eigenartige Stimmung über der Stadt, die Wohlhabenden hatten sich bereits in ihre Häuser zurückgezogen, die Armen begannen sich torkelnd ihres Lebens zu freuen, und eine schneeschwere, zimtduftende Mischung aus Ekstase und Melancholie schwang in der Luft.
    Mary, müde von der Reise und verfroren, fühlte sich plötzlich einsam. Sie sah sich mit großen Augen um, in der Hoffnung, durch neue Eindrücke die aufkeimende Traurigkeit zu besiegen. Was ihr
auffiel, waren die an manchen Häusern angebrachten Fahnen, auf denen ein gekrönter weißer Falke zu sehen war, der auf einem goldenen, mit roten und weißen Rosen bewachsenen Zweig saß. Als sie Nicolas danach fragte, erklärte er:
    »Dies ist das Wappen von Königin Anna. Sie ist der Falke mit der Krone, die Blumen sind die weißen Rosen von York und die roten Rosen von Lancaster, vereint zur Tudor-Rose. Du siehst, viele Londoner sind den Tudors überaus treu ergeben!«
    »Sie haben Anna Boleyn angenommen?«
    »Ach, weißt du, sie tun immer, was ihnen Vorteil bringen kann. Heute ist die Boleyn ihre Königin, morgen jubeln sie der nächsten zu, wenn es von ihnen verlangt wird.« Sein herablassender Ton ärgerte Mary.
    »Du bist genauso«, meinte sie schnippisch, »du lehnst es auch ab, für Überzeugungen deinen Kopf hinzuhalten.«
    Er antwortete darauf nicht. Schweigend ritten sie durch die Gassen und lauschten dem Klappern der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster. Sie blieben die ganze Zeit südlich der London Bridge, was Mary jedoch schon gewußt hatte. Irgendwann hatte sie Nicolas gefragt, wo sie in London eigentlich leben würden und er hatte geantwortet, das würde leider auf der Südseite der Themse sein. Aber sie war doch überrascht, als Nicolas sein Pferd vor dem Sherwood Inn zum Stehen brachte und auf die Straße sprang.
    »Was willst du denn hier?«
    »Wir wohnen hier. Im ersten Stock bei Will Shannon. Er braucht nicht so viel Platz, deshalb hat er mir vor einem halben Jahr angeboten, hier einzuziehen. Da ich vorher wirklich in einem jämmerlichen Schuppen hauste, habe ich angenommen.« Er streckte seine Arme aus, um ihr vom Pferd zu helfen.
    »Es wird dir gefallen. Die Zimmer sind sehr gemütlich.«
    Mary war nicht gerade begeistert. Das Sherwood Inn erinnerte sie zu sehr an Lord Cavendor, und den hätte sie gern aus ihrem Gedächtnis verbannt. Aber jetzt konnte sie nichts dagegen tun. So folgte sie Nicolas in den schon vertrauten Schankraum. Wills Haare waren noch grauer geworden, sein Gang gebeugter, aber sonst hatte sich überhaupt nichts verändert. Es gab noch den zerschlissenen
Vorhang, der zu jenem Nebenraum führte, von dem Mary lieber nicht wissen wollte, was sich dahinter abspielte und wie oft der alte Shannon dort schon leise kichernd geheimnisvolle Mixturen zusammengebraut und einem armen Menschen einen unerwarteten Tod beschert hatte. Sogar der alte Hund lag noch vor dem Kamin und hob matt den Kopf, als er Nicolas und Mary hörte. Das gleiche Dämmerlicht herrschte wie früher, auf den Mauervorsprüngen klebten Kerzen, an den Wänden tanzten Schatten.
    Sie mußten eine steile Treppe hinaufklettern, um in ihre Wohnung zu gelangen. Hinter der baufälligen Tür hatte Mary ähnlich verwahrloste Räume vermutet, aber zu ihrer Überraschung gab es zwei Zimmer und eine Küche. Wände und Decken wurden mit schweren dunkelbraunen Holzbalken gestützt, die kleinen vergitterten Fenster lagen in tiefen Nischen, der Fußboden war mit dicken Teppichen bedeckt. Manche Einrichtungsgegenstände kamen Mary ziemlich wertvoll vor, etwa der Küchentisch aus Eichenholz, ein goldverzierter Bilderrahmen und eine kunstvoll geschnitzte Kleidertruhe im Schlafzimmer. Sie fragte Nicolas, wo er solche Dinge her habe, aber er antwortete ausweichend:
    »Manchmal habe ich Geld, weißt du«, und wandte sich gleich wieder Will zu.
    Sie verbrachten den Abend mit Will zusammen in der Küche. Aus einem Schuppen neben dem Haus holte Nicolas Holz und machte ein großes Feuer im Kamin, Will brachte ganze Arme voll gesammelter Vorräte, Fleisch und Gewürze, Kuchen, Brot, ausländisches Gemüse und Berge von Obst. Nicolas bewies, daß er hervorragend kochen konnte, mit leichter Hand warf er die Zutaten zusammen, und bald roch es so gut, daß Mary ganz schwach vor Hunger wurde. Sie fing an, sich schläfrig und entspannt zu fühlen, als

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