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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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der...« Sie sprang auf, ihre Augen waren schmal und funkelten. »Ich weiß, ich darf Frederic Belville in deiner Gegenwart nicht erwähnen, aber ich sage dir jetzt trotzdem, warum ich meine Seele dafür gegeben hätte, in Marmalon leben zu dürfen. Weil ich ein ganz gewöhnliches und ruhiges und anständiges Leben führen wollte, weil ich einen Mann haben wollte, einen Hof und Kinder und Tiere, weil ich für sie sorgen wollte, meine Abgaben bezahlen, widerspruchslos, weil ich eine geachtete Frau sein wollte, nicht eine, über die man sich das Maul zerreißt wie früher über meine Mutter, oder eine, die immer nur auf der Flucht vor dem Gesetz ist! Ich wollte morgens ins Dorf gehen und einkaufen und all den anderen Frauen gerade ins Gesicht sehen, den miesen Klatschweibern und ihren bigotten Männern! Ich wollte... ach, Nicolas, ich wollte so gern, so gern meine Vergangenheit loswerden, dieses verdammte Armenhaus, meinen versoffenen Vater, meine Mutter, die so gierig hinter jedem Mann her war, daß kaum einer das Kunststück fertigbrachte, ihr zu entkommen, meine verkommene Schwester und diesen kriecherischen Halunken, der mein Bruder ist. Ich wollte so gern weg, ich hatte es mir so gewünscht!« Sie hatte nicht bemerkt, daß ihr während ihrer letzten Sätze die Tränen die Wangen hinunterliefen. Nun sah sie durch einen Schleier hindurch, daß Nicolas aufstand und auf sie zutrat, gleich darauf legte er seine Arme um sie und zog sie gegen seine Brust. Sie fing an, heftiger zu schluchzen. Über sich hörte sie eine warme, ruhige Stimme.
    »Mein Armes«, sagte er leise, »mein armes Kleines, weine ruhig. Weine, solange du willst. Ich versteh’ dich, mein Liebling. Und es wird alles gut, ich verspreche es dir!«
    Sie hob den Kopf und sah ihn so verzweifelt an, daß es ihm ins Herz schnitt. Sie weinte um Frederic Belville, das spürte er. Und er begriff in diesem Moment, wie tief sie tatsächlich unter seinem Tod gelitten haben mußte und wie viele Träume ihr zerschlagen worden waren. Sie hatte ein ganz anderes Gesicht als zu der Zeit, da er sie zuletzt gesehen hatte, und das nicht nur, wenn sie weinte. Die Koketterie war verschwunden, mit der sie ihn früher angesehen hatte, ihr herausforderndes Lächeln, das sie aufblitzen und verschwinden lassen konnte, die Lebenslust, die unverblümt in ihren Augen gestanden
hatte und derer sie sich nie schämte. Sie ist so reif, dachte er, zu reif für ein siebzehnjähriges Mädchen. Wenn sie mir nur glauben würde, wie sehr ich sie liebe und daß ich sie vor allem Bösen beschützen will. Und Mary, wenn du wüßtest, daß du für das Leben, wie du es dir erträumst, zu schön bist, zu klug – und außerdem eine viel, viel zu ungewöhnliche Frau!
     
    Im Frühling des Jahres 1535 wurde Mary achtzehn Jahre alt. Sie sah in dieser Zeit glücklich aus, gesund, nicht länger bleich und müde, sondern ausgeruht und kräftig. Sie hatte genug zu essen, so daß ihre Wangen wieder Farbe bekamen und die Lippen weniger blutleer wirkten. Nicolas hatte ihr mehrere Ballen teurer Stoffe gekauft, aus denen sie sich Kleider schneidern ließ, weiche Wolle, die mit Samt und Brokat besetzt und mit enger Taille und bauschigen Röcken gearbeitet wurde, Kleider mit üppigen Ärmeln und tiefen Ausschnitten, in denen sie Ketten trug, imitiertes Gold mit bunten Glassteinen. Zum Geburtstag überreichte er ihr einen kleinen flachen Hut aus Samt, der über und über mit buntgefärbten Straußenfedern besetzt war. Mary fand ihn ein wenig vulgär, aber Nicolas zerstreute ihre Bedenken, indem er ihr sagte, ihre Augen seien besonders blau und die Haare sehr rot darunter.
    »Ja, aber gerade das scheint mir ein wenig aufreizend«, meinte Mary noch schwach.
    Nicolas trat von hinten an sie heran und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.
    »Sicher«, gab er zu, »aber man kann nicht darum herum reden, du siehst wunderschön aus!«
    Mary lächelte ironisch. Und warum sollte ich den Leuten Ehrbarkeit vorgaukeln, dachte sie, wenn ich sowieso nicht ehrbar bin.
    Sie hatte mit Nicolas nie wieder über seine Arbeit gesprochen, und er erwähnte sie auch nicht. An vielen Tagen blieb er ohnehin zu Hause, und an den Tagen, an denen er die Wohnung verließ, verabschiedete er sich mit den Worten: »Ich muß noch mal fort!«
    Und wenn er wiederkam, erzählte er nie, wo er gewesen war. Mary fragte auch nicht, aber immer öfter ertappte sie sich dabei, daß sie ihm aus dem Fenster sehnsüchtig nachblickte und ihn
abends belauerte,

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