Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
jedoch tatsächlich älter aus, als sie war, was daran liegen mochte, daß ihr Gesicht einen Ausdruck von Ernsthaftigkeit besaß, wie man ihn selten bei einem Kind fand. Seit Frederic fort war, lächelte sie beinahe nie, und wenn sie es tat, sah es immer ein wenig angestrengt aus. Hätte sich irgend jemand in der Familie einmal die Zeit genommen, ihre Augen genauer zu betrachten, wäre er vielleicht über das Leid darin bestürzt gewesen, doch so genau
wollte es niemand wissen. Sie sahen nichts als die äußere Erscheinung, und die war kaum geeignet, große Aufmerksamkeit hervorzurufen. Mary war sehr blaß, und ihre schönen blauen Augen bekamen nie das Schillern, das Lettice noch immer in die ihren hineinzaubern konnte, wenn sie wollte. Ihre dunklen Haare zeigten einen stark rötlichen Farbton, aber sie wurden so selten gebürstet, daß sie glanzlos und zerzaust den Rücken hinunterhingen. Nun strich Lettice mit den Händen darüber und versuchte sie ein wenig zu ordnen.
    »Bess, gleich morgen gehst du zu Lady Fairchild und erzählst ihr, daß du eine Schwester hast, die sehr gern im Herrenhaus in der Küche arbeiten würde«, befahl sie. »Mary ist ein ganz geschicktes kleines Ding, und ich sehe nicht ein, daß wir auf eine zweite Geldquelle verzichten sollen.«
    Bess machte ein bedenkliches Gesicht.
    »So ein kleines Mädchen werden die da nicht haben wollen«, meinte sie, aber Lettice fegte diesen Einspruch mit einer großspurigen Handbewegung zur Seite.
    »Wir sagen, sie ist vierzehn. Das Gesicht dafür hat sie. Du mußt nur erzählen, wie fleißig und umsichtig sie ist.«
    »Eure Mutter hat gute Einfälle«, sagte Ambrose zufrieden, und Edward nickte zustimmend. Lettice lächelte.
    Mary wußte nicht, ob sie die Vorstellung, im Herrenhaus zu arbeiten, verlockend oder beängstigend finden sollte. Sie schlief die ganze Nacht nicht und verbrachte den folgenden Tag in mühsam bezwungener Aufregung. Sie saß zwischen zwei alten, hustenden Frauen auf den Treppenstufen und hörte sich deren wirre, von vielen Seufzern und Tränen unterbrochene Lebensgeschichte geduldig an, bis im Zwielicht des Abends Bess’ vertraute Gestalt am Ende der Gasse auftauchte. Mary sprang auf und rannte ihr entgegen.
    »Bess, Bess!« rief sie. »Hast du mit Lady Fairchild gesprochen?«
    »Ja«, erwiderte Bess mürrisch, »sie meint, wir könnten wohl noch eine Hilfe brauchen. Aber du mußt sehr fleißig sein.«
    Mary wurde es ganz schwindelig vor Aufregung.
    »Ach, Bess, wie schrecklich«, sagte sie nervös, »wenn ich nun alles falsch mache? Die Leute dort sind sicher sehr vornehm und werden mich nicht mögen!«

    »Du wirst schon zurechtkommen. Ich sage dir, zwei Tage dort, und dir wird kalt vor Grauen, wenn du unser Haus nur siehst!«
    »Warum kommst du dann immer noch her? Andere Dienstboten leben doch auch im Herrenhaus!«
    »Weil ich nicht wie eine Nonne leben will, deshalb! Ach, es ist diese verdammte Lust auf Männer, die uns in den Dreck zerrt!«
    Zu Hause stieß Lettice einen Jubelschrei aus, als sie von Bess’ erfolgreicher Vermittlung hörte.
    »Herrlich!« rief sie. »Mary, das Geld, was du dort kriegst, gibst du mir und nicht deinem Vater, verstanden?«
    Mary nickte benommen. Obwohl sie sich vor dem nächsten Tag fürchtete, fand sie, daß sich das alles schon deshalb ein wenig lohnte, weil Lettice dafür den ganzen Abend gute Laune hatte. Weder Ambrose noch Edward waren zu Hause, und auch von den Armen ließ sich keiner blicken. Die Stimmung war heiter und freundlich.
    »Mary muß baden«, bestimmte Lettice, »sie soll einen guten Eindruck machen!«
    Bess ging hinaus an den Brunnen und schöpfte Wasser, das sie auf dem Herd erwärmte und dann in eine Holzwanne vor dem Kamin schüttete. Mary setzte sich hinein, und Lettice wusch ihren ganzen Körper, die mageren Arme, die spitzen Knie und den Leib, an dem einzeln die Rippen hervorstanden. Auf Marys weißer Brust zeichneten sich feinverästelte blaßblaue Adern ab; wenn sie atmete, erklang ein rauhes Rasseln. Aber das bekümmerte Lettice weniger als die Frage, ob das Kind vielleicht Läuse hätte. Wanzenbisse und Flohstiche zählten nicht, die gehörten zum täglichen Leben, und die feinen Damen hatten damit ebenso zu kämpfen wie das einfache Volk. Aber Läuse wurden in den Küchen der Herrenhäuser nicht gern gesehen. Lettice wühlte in Marys Haaren herum, konnte jedoch nichts Verdächtiges finden.
    »Deine Haare sind in Ordnung«, sagte sie, »aber wir waschen sie noch. Und

Weitere Kostenlose Bücher