Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Königin!«
»Unsinn!« fuhr Gladys auf. »Wer weiß, was du da wieder aufgeschnappt hast!«
»Aber es ist wahr. Liza hat es genau gehört. Und sowieso – das
ganze Land spricht davon, daß Seine Majestät eine Liebschaft mit einer Hofdame der Königin hat, mit Anna Boleyn, und daß er deshalb Königin Katharina loswerden möchte!«
»Jeder König hat immer wieder Liebschaften und läßt sich deswegen nicht gleich scheiden. Das kann er auch gar nicht. Wer soll ihm das erlauben?«
»Er ist der König. Er darf alles!«
»Nun, eine Ehe scheiden kann nur der Papst!« Gladys bekreuzigte sich rasch. »Und der wird es nicht zulassen!«
»Aber ein Kardinal aus Rom soll ja in London sein«, beharrte Lil, »er führt zusammen mit dem Lordkanzler den Prozeß.«
Bess hielt beim Putzen inne und lachte boshaft. »Wie peinlich für die Königin«, meinte sie amüsiert, »wegen irgendeiner hergelaufenen Mätresse soll sie ihren Thron aufgeben!«
»Ja, und sie hat den König mit nichts in der Hand«, sagte Lil, »denn sie hat ihm keinen Thronfolger geboren.«
»Aber Prinzessin Mary hat sie ihm geschenkt«, entgegnete Gladys heftig, »daran sollte er wenigstens denken.«
»Ein Mädchen! Soll eine Frau eines Tages England regieren?«
Gladys schwieg, aber Bess richtete sich auf und warf ihre langen Haare zurück. » Warum nicht? Wenn ich mir meinen Vater als König vorstelle, wird mir übel, aber meiner Mutter würde ich es zutrauen. «
»Heilige Jungfrau Maria!« Gladys schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Hört euch das Mädchen an! Ambrose und Lettice Askew als Königspaar! Du hast völlig wirre Gedanken, Bess!«
»Und du hast leider keinen Verstand, Gladys«, gab Bess verächtlich zurück, »ich wollte nur sagen, daß Männer nicht grundsätzlich klüger sind als Frauen. Du bist jedoch nicht gerade ein Beweis.«
Beinahe wäre es über diesen Worten zu einem Streit gekommen, aber gerade da wurden sie alle sehr unvermittelt an Marys Gegenwart erinnert, da die plötzlich von ihrer Bank rutschte und sich zitternd und mit schneeweißem Gesicht in der nächsten Ecke erbrach.
»Nein, die Ärmste!« rief Gladys. »Was hast du denn, Herzchen? «
»Ich habe doch gesagt, du sollst sie nicht so verwöhnen«, sagte Bess ärgerlich, »das fette Essen verträgt sie einfach nicht!«
»Das war gar nicht fett. Aber sie ist völlig unterernährt. O nein, Kind, was ist denn jetzt?«
Vor Schreck und Aufregung hatte Marys Husten wieder eingesetzt, und sie schnappte mit verzerrtem Gesicht und bläulichen Lippen nach Luft. Bess, die das schon kannte, kümmerte sich gar nicht darum, aber Lil erstarrte vor Schreck, und Gladys geriet ganz außer sich.
»Schnell, an die frische Luft!« rief sie. »Kind, komm, du erstickst ja!«
Sie zog die taumelnde Mary zur Tür und die Kellertreppe hinauf. Tatsächlich konnte sie oben in der reinen, klaren Luft freier atmen. Aber ihr war noch immer entsetzlich übel, und vor Entsetzen, daß ihr dies am ersten Tag hatte passieren müssen, fing sie an zu weinen. Sie konnte sich gar nicht mehr beruhigen, bis sich plötzlich eine Hand auf ihren Arm legte und eine sanfte Stimme fragte: »Warum weinst du denn?«
Mary schrak zusammen und blickte auf. Aus dem sommerlichen Park war eine junge Frau aufgetaucht, die sich mit teilnahmsvollem Gesicht zu ihr hinabneigte. Sie sah so anders aus als alle Frauen, die Mary bisher erlebt hatte, daß ihr vor Überraschung die Tränen versiegten. Die freundliche Dame trug ein Kleid aus dunkelrotem, weich gewebtem Stoff, das am Oberkörper eng anlag und von der Mitte an in einen weiten, bauschigen Rock mit kunstvollem Faltenwurf überging. Er war, wie auch die weiten Ärmel, über und über mit kleinen Perlen und grünen Steinen bestickt, die im Sonnenlicht wie tiefes, klares Wasser leuchteten. Um den Hals der Frau lagen mehrere Ketten aus Perlen und Edelsteinen, und eine Kette wand sich um die blonden Haare, die geflochten und dann am Kopf aufgesteckt waren. Aus reichen, weißen Spitzen am Handgelenk sahen schmale Hände hervor, deren Finger mit goldenen Ringen geschmückt waren.
Gladys knickste tief. »Verzeihung, Lady Cathleen«, sagte sie hastig, »das ist das neue Küchenmädchen. Ihr... war nicht gut, daher führte ich sie hinaus.«
Die Frau musterte Mary eindringlich. » Wie heißt du?« fragte sie.
»Mary Askew«, erwiderte Mary mit piepsiger Stimme.
Die Frau verzog das Gesicht. »Ein Kind von Ambrose Askew?«
»Ja.«
Gladys stieß sie an. »Ja,
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