Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
sie ihn fester umarmte und sich eng an ihn preßte, aber eher in einer Geste der Vertraulichkeit als in einer, die stürmische Gefühle verraten hätte. Wie jedesmal in einem solchen Moment stieg Zorn in ihm auf. Er mußte sich zusammennehmen, Mary nicht an den Schultern zu packen und aus ihr herauszuschütteln, was er vom ersten Tag an, da er sie gesehen hatte, von ihr hatte hören wollen: Daß sie ihn liebte, daß sie ihn so maßlos, so andauernd, so stark liebte wie er sie. Nur dieses eine Geständnis wollte er, einmal, und nicht, wenn sie nachts in seinen Armen lag und es entrückt,
am Rande ihres Bewußtseins hervorstieß; mit klarem Kopf sollte sie es sagen. Aber er mochte in seinen gottlosen Gedanken noch so sehr fluchen, den Teufel anrufen und Frederic Belvilles dreckige Seele in alle Höllen wünschen, er bekam nicht, wonach es ihn verlangte. Er hatte Marys Leidenschaft geweckt, er meinte sogar, ihre Liebe errungen zu haben, aber es gab einen Vorbehalt in ihrem Herzen, der ihn rasend machte, jenen lang entschwundenen Kindheitstraum, den sie mit ihm nicht teilte. Frederic Belville spielte eine Rolle, und Marmalon. Mary sehnte sich nach Frieden und Geborgenheit, und es verletzte Nicolas jeden Tag von neuem, daß sie in ihm nicht den Menschen sah, der ihr geben konnte, wonach es sie verlangte.
Er löste sich aus ihren Armen und hielt sie ein Stück von sich. Sie erschrak über den Ausdruck der Hilflosigkeit in seinen Augen.
»Mary, ich wünschte so sehr, daß...« Aber er brach ab, weil ihn plötzlich der Mut verließ. Gott verdamme sie, sie war der einzige Mensch, der ihm jemals Furcht eingeflößt hatte.
»Was ist denn?« fragte sie. »Was wünschst du dir?«
»Nichts, es ist schon gut. Nur ein kurzer, dummer Gedanke.« Er lächelte. »Ich geh’ wieder schlafen.«
»Gut, ich komme auch gleich. Ich möchte nur noch etwas zu Ende lesen.«
Es lag Nicolas auf den Lippen, höhnisch zu fragen, wie sich denn Marys Sehnsucht nach dem Leben einer Bäuerin in Marmalon mit ihrem unstillbaren Bildungshunger vertrüge, aber er schluckte die Bemerkung hinunter. Es war nicht die richtige Zeit für einen Streit und außerdem hätte sie ihm kaum zugehört. Sie neigte sich bereits wieder tief über ihr Buch und ihre Lippen bewegten sich lautlos.
Am Anfang des neuen Jahres, 1536, erntete Mary den Lohn für ihre Mühen. Sie saß über einem Schriftstück in Blooms Zimmer und lauschte einem Gespräch, das der Anwalt mit einem Klienten in einer anderen Ecke führte. Als der Klient gegangen war, stand Bloom etwas ratlos herum.
»Diesmal weiß ich wirklich nicht...« murmelte er.
Mary sah auf.
»Sir, ich habe zugehört«, sagte sie, »und ich glaube...«
»ja?«
»Ich habe vor kurzem etwas in einem Buch gelesen, was mir genau auf diesen Fall zu passen scheint.« Sie erhob sich, zog ein Buch aus dem Regal und reichte es Bloom.
»Wenn Sie es sich einmal ansehen möchten? Und...« Sie zögerte wieder.
Bloom, der in dem Buch blätterte und ein immer erstaunteres Gesicht bekam, nickte ihr zu.
»Und was?«
»Ich habe mir überlegt, wie wir die Verteidigung aufbauen könnten. Wenn ich es Ihnen darlegen dürfte...«
Bloom wies langsam auf einen Sessel. »Setzen Sie sich. Sie haben recht. Was in diesem Buch steht, paßt genau auf unseren Fall.«
Sie nahm ihm gegenüber Platz.
»Ich bin gespannt auf Ihre Überlegungen. Und ich denke...« Er machte eine Pause und lächelte Mary zu.
»Ich denke, ich könnte öfter meine Arbeit mit Ihnen besprechen. Wäre es Ihnen recht, wenn ich Ihnen von heute an einen höheren Lohn zahle?«
Mary hielt den Atem an.
»Oh, das wäre...«
»Gut. Bleiben wir dabei.« Er lehnte sich zurück und schloß die Augen.
»Fangen Sie an, Mrs. de Maurois. Ich höre Ihnen zu!«
Es war der 11. Januar 1536, und in London fand auf Einladung des Königs ein großes, festliches Turnier statt. Von weither kamen die Menschen, um sich das Schauspiel anzusehen, viele auch, um selbst daran teilzunehmen. Es wurde Bogenschießen veranstaltet, Lanzenwerfen, Wettreiten und Schwertkampf. Viele erschienen in alten Ritterrüstungen mit prächtigen wallenden Federbüschen an den Helmen, die Herolde, die die Hörner bliesen, waren in leuchtendroten Samt gekleidet, ihre Instrumente mit Fahnen aus reiner Seide behängt. Unter einem gewaltigen, sternenbestickten Baldachin an der Längsseite des Turnierplatzes befand sich die Loge für die Damen des Hofes, die dort in ihren schönen Gewändern saßen
und das
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