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Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon

Titel: Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und Geld kaum retten, ebenso wie nach Nicolas’ Behauptungen einem Menschen kaum Besseres passieren konnte, als im Tower zu landen. Zwischen den Zeilen klangen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit hindurch, aber nie schrieb er ein Wort darüber. Sie versuchten einander zu trösten, litten dabei jeder unter der Unaufrichtigkeit des anderen, zogen daraus aber keineswegs Konsequenzen, selber die Wahrheit zu sagen. Mary fragte sich oft angstvoll, was zehn Jahre Gefängnis aus einem Menschen machen können. Sie hielt Nicolas für zäh und stark, aber sie wußte auch, daß er empfindsam und verletzlich war.
    Manchmal befiel sie Angst, wenn sie an ein Wiedersehen dachte, in jedem Fall aber wußte sie, daß sie zunächst ihr Leben selber in die Hand nehmen mußte. Sie konnte es sich nicht leisten, zu jammern und zu klagen. Manchmal meinte sie, sich schon deshalb mit ganzer Kraft in diesen unerbittlichen Lebenskampf stürzen zu müssen, um nicht beständig über Nicolas nachzugrübeln. Die Gedanken an ihn bedrängten sie so, daß sie nachts schlecht schlief und tags völlig abwesend lebte. Nicolas, dieser schwarzhaarige, wilde, abenteuerliche Mann, der so völlig unerwartet in ihr Leben getreten war und es an sich gerissen hatte, blieb ihr ein Rätsel. Über tausend Dinge hätte sie mit ihm sprechen wollen, auch aus dem Wunsch heraus, sich selbst zu begreifen. Instinktiv ahnte sie, daß Nicolas wußte, wer sie war, er war vielleicht der einzige Mensch auf der Erde, der sie verstand.
    Anfangs hatte sie nur auf den Tag hingelebt, an dem er wiederkommen würde. Sie hatte in ein Buch Striche gemacht für jeden
Tag, der von seiner Haft vorüberging, bis sie die nicht endenwollende Vielzahl von Strichen erschöpfte und mutlos machte. Sie warf das Buch in eine Ecke und akzeptierte die Tatsache, daß sie so oder so zehn Jahre allein sein würde und daß sie am besten so früh wie möglich damit anfangen sollte, all das aufzubauen, was sie Jane nach deren Geburt versprochen hatte. Es war ihr, als sei dies eine durchgehende Bestimmung in ihrem Schicksal, daß sie immer, wenn sie glaubte, die Flügel gefunden zu haben, unter denen sie sich verkriechen konnte, plötzlich wieder ungeschützt im Freien saß und etwas ihr sagte:
    »Komm, Mary, hier ist das Leben, nimm es dir endlich und hol dir, was du eigentlich willst. Du kannst mehr bekommen, als nur einen Menschen, der dich beschützt!«
    Sie begann sich zu fragen, was sie eigentlich wollte, und in den letzten Monaten, in denen sie von Bartholomew kaum noch Geld bekam, in denen sie Jane in viel zu engen Kleidern herumlaufen sah, weil sie ihr keine neuen kaufen konnte, reifte in ihr die Gewißheit, daß sie unter allen Umständen zu Reichtum und Ansehen kommen mußte. Letztlich war Geld der einzige Schutz im Leben. Sie wollte so viel Geld, daß jeder Mensch der Welt ihr gleichgültig sein konnte und daß niemand mehr es wagen würde, über Mary Askew aus dem Armenhaus von Shadow’s Eyes die Nase zu rümpfen.
    Natürlich war sie dafür viel zu lange bei Bartholomew geblieben, das wußte Mary. Hier gab es für sie keine Zukunft, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, ihn zu verlassen. Solange sie jeden Morgen kam, munter, freundlich und mit unverdrossenem Arbeitseifer, solange konnte er sich noch in dem Glauben wiegen, der begehrte, gescheite, rhetorisch unschlagbare Anwalt zu sein, der er in seiner Glanzzeit gewesen war. Mary nahm verschiedene Anläufe, das mühsam gewobene Lügengespinst, das sich um die verstaubten Zimmer in der Catneys Inn Alley schlang, zu zerstören, aber im letzten Augenblick verließ sie die Kraft, sie schwieg und verfluchte ihre Gutmütigkeit.
    Heute endlich, an diesem lauen Vorfrühlingstag, hatte Bartholomew von selbst zu ihr gesprochen.
    »Mary, meine Liebe, ich denke, unser Abschied ist gekommen«,
hatte er in seiner etwas rauhen, immer so irritierend unvermittelten Art gesagt, »es ist nicht richtig, daß Sie hier bleiben und die Gesellschafterin für einen alten, kranken Mann spielen, während es tausend Dinge gibt, die Sie lieber täten und die Ihnen mehr einbrächten. Sie sind jung und ich kann Ihnen nichts bieten.«
    »Oh, aber das ist nicht wahr«, protestierte Mary, Bartholomew aber schlug mit der Faust auf den Tisch und unterbrach sie grob:
    »Keine Ausflüchte! Wenn ich an Ihnen etwas schätze, Mary, dann ihren ehrlichen, unsentimentalen Verstand! Nun zeigen Sie ihn auch. Sie wissen ebenso gut wie ich, daß wir hier Theater spielen. Ich habe

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