Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
ihr Kind wegnehmen könnte!« Hadleigh betrachtete Cathleen nachdenklich. »Es ist eine Schande. Diese schöne, junge Frau, und lebt in der elenden Gefangenschaft einer alternden Jungfer. Sie sollte wieder heiraten und glücklich sein.«
Courday war der leise Unterton in der Stimme seines Freundes nicht entgangen. Er sah ihn scharf an.
»Du willst ihr doch wohl nicht den Hof machen?«
»Warum nicht?«
»Ich wünsche dir viel Mut. Die Brisbane kratzt dir die Augen aus.«
»Mit der werde ich noch fertig, das versichere ich dir.« Courday lächelte.
»Aber sieh nur, wie sie schon mit einer harmlosen Mary de Maurois umgeht«, meinte er, »als wolle sie sie am liebsten auf der Stelle vergiften.«
»Da muß sie doch keine Angst haben«, mischte sich Fennimere
ein, »Lady Cavendor wird nie die Freundschaft einer Frau wie dieser Maurois suchen.«
»Woher willst du das wissen? Wir würden diese Freundschaft doch auch suchen, oder nicht?«
Sie stießen sich an und lachten schallend.
»Benimm dich«, zischte Lady Courday, die wie alle übrigen Frauen längst begriffen hatte, daß sämtliche anwesenden Männer von der dahergelaufenen neureichen Schlampe fasziniert waren, »sieh sie nicht an, als wolltest du sofort mit ihr ins Bett!«
Sir Courday erstarrte, weil er sich nach fünfzehn Jahren Ehe noch immer nicht an die schonungslose Offenheit seiner Frau gewöhnt hatte, und bezwang sein Glächter.
Die erste Aufregung nach Marys Ankunft legte sich, alle wandten sich wieder ihren alten Gesprächspartnern zu, wenn auch nun der Gegenstand der Unterhaltung ein anderer geworden war. Diener gingen herum und boten in weiße Tücher gewickelte Wachteln an – eine Rarität in diesem Jahr und kaum zu bezahlen. Von irgendwoher erklang leise Spinettmusik; sie verschmolz mit dem Gezwitscher der Vögel und dem Zirpen des Windes in den Gräsern. Es roch nach sonnenwarmer Rinde und frischer Erde. Gedankenverloren betrachtete Mary Schneeglöckchen und Krokusse, die vor ihr aus der Wiese sprossen. Lady Cathleen kümmerte sich nicht um sie, sie war ganz mit Beschlag belegt von einem Herrn, der ihr offensichtlich Aufmerksamkeiten ins Ohr flüsterte, denn sie lachte hell und sah sehr jung aus. Mary meinte, ihn damals an jenem Abend in Marmalon gesehen zu haben, als der Trupp Männer zu ihr kam, um sie zur Rede zu stellen. Hadleigh hieß er oder so ähnlich.
Himmel, wenn das Brisbane sieht, dachte sie amüsiert. Dann ließ sie einen unauffälligen Blick über die anderen Gäste schweifen und seufzte leise. Weshalb war sie nur hergekommen, was wollte sie bei diesen Menschen? Sie sahen so übersättigt aus, so gelangweilt und mißmutig. Es kränkte sie, der Anziehungspunkt für verächtliche Blicke zu sein, selbst dann, wenn die Verächtlichkeit dem puren Neid entsprang; sie verbarg ihre Unsicherheit hinter einer hochmütigen Miene und wünschte sich Nicolas herbei. Guter Gott, was
hätte er über die Leute gelästert, scharfzüngig, erbarmungslos treffend. Und dann wäre er hingegangen, hätte ihnen ihre Geldbeutel und Ringe und Armbänder gestohlen, wäre mit Mary im Galopp durch den Frühlingswald nach Hause geritten, sie hätten ihren Triumph gefeiert, hundert Kerzen angezündet und wären irgendwann erschöpft und satt und glücklich einander in den Armen liegend eingeschlafen. Statt dessen mußte sie hier allein stehen, den abschätzenden Mienen der anderen standhalten und den Widerwillen herunterkämpfen, der sie beim Anblick von wachtelschmatzenden Mündern und fettverschmierten Kinnen überfiel. Auf einmal dachte sie, sie würde es keinen Moment länger ertragen. Ich will nach Hause, dachte sie, sofort will ich nach Hause. Verdammtes Pack, warum soll ich mich ihnen aussetzen?
Schon wollte sie loseilen, da trat jemand von hinten an sie heran und eine männliche Stimme sagte:
»Miss Frances Clark, wenn ich mich nicht täusche?«
Irgendwo tief in ihrem Gedächtnis rief dieser Name eine Erinnerung wach, ließ alten Schrecken neu erstehen und entfachte ein Gefühl der Panik in ihr, von dem sie im gleichen Moment, da es erwachte, wußte, daß sie es bereits einmal gefühlt hatte. Einen winzigen Moment lang gab sie sich noch der Hoffnung hin, sie könne die Augen schließen und auf diese Weise der Begegnung entgehen, aber da war der Mensch hinter ihr schon um sie herum getreten und stand ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
»Ja, natürlich, Sie sind Frances Clark!«
Sie hob ihren Blick, der sich völlig unsinnig auf ein
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