Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
gräßliche Flüche aus, beschwor den Teufel in seiner Hölle, er möge Mary Askew zu sich holen, und prophezeite ihr das schrecklichste Schicksal.
»Habe ich dir nicht gesagt, was geschieht, wenn du dich meinem Willen widersetzt?« fragte er. »Habe ich es dir gesagt? Antworte!«
»Sie haben es gesagt, Mylord.«
»Und du wagst es, mir wieder unter die Augen zu treten?«
»Ich kann nirgendwo sonst hingehen, Mylord.«
Am nächsten Tag wurde Mary krank und lag von da an für acht Wochen glühend vor Fieber im Bett. Sie hatte sich während der vielen Stunden im Schnee und Kälte schwer erkältet und hinzu kam ein völliger Nervenzusammenbruch, der ihr Fieber in die Höhe trieb, sie nachts schreiend aus dem Schlaf auffahren ließ, in stundenlangen Weinkrämpfe stürzte und den von Anne besorgt herbeigerufenen Doktor ratlos machte. Er ließ Mary zur Ader, bis sie so weiß war wie hauchzartes Pergament und flößte ihr eine selbstgebraute Medizin ein, auf die hin sie sechsunddreißig Stunden lang nahezu ohne Unterlaß erbrechen mußte. Aber Marys Zähigkeit half ihr auch diesmal. Sie überlebte nicht nur die Krankheit, sondern auch die Methoden der Heilung. Sie war dem Tod nie näher gewesen als in diesen Wochen, aber als es Frühling wurde, konnte sie wieder aufstehen und auf wackligen Beinen erste zaghafte Schritte an Annes Arm machen. Sie war ein Stück gewachsen, wirkte ganz durchsichtig, hatte eingefallene Wangen und hohle Augen und aß so wenig, daß die Köchin über den Anblick ihrer unberührten Teller schon wütend wurde.
»Du wirst nie zu Kräften kommen, wenn du so weitermachst!« schimpfte sie. »Es macht ohnehin überhaupt keinen Spaß mehr, in diesem Haus noch zu kochen! Mylady ißt nichts, du ißt nichts und alle sehen unglücklich aus!«
Tatsächlich herrschte nicht gerade eine heitere Stimmung in Lord Cavendors Haus. Cathleen saß bleich und verweint den ganzen Tag in ihrem Salon und weigerte sich inzwischen rundweg, als Gastgeberin an der Seite ihres Mannes bei dessen abendlichen Empfängen mitzuwirken. Die Auseinandersetzungen zwischen ihnen hatten sich verschärft. Lord Cavendor wollte unter allen Umständen Kinder haben, vor allem einen Sohn, dem er einst seinen guten Namen und sein ansehnliches Vermögen würde vererben können. Er hatte keine Lust, unter seinen Freunden zum Gespött zu werden, nur weil er offensichtlich außerstande war, einen Nachkommen zu zeugen. Unglücklicherweise hatte Cathleen ihm den Zutritt zu ihrem Schlafzimmer seit einem halben Jahr endgültig untersagt, und das hysterische Flackern in ihren Augen, mit dem sie ihm ihren Entschluß
mitteilte, hatte ihn davon überzeugt, daß jedes Überschreiten des Verbotes zu einem Streit führen würde, an dem das ganze Haus und am Ende noch die Nachbarschaft würde teilhaben können. Er fügte sich zähneknirschend, aber sein Verhältnis zu Cathleen wurde immer unerträglicher.
Mary feierte im März ihren fünfzehnten Geburtstag. Anne schenkte ihr ein abgelegtes Kleid aus schwarzem Samt, das erste schöne Gewand, das Mary je besessen hatte. Es hing viel zu weit um sie herum, aber mit Agnes’ Hilfe nähte sie es enger. Es war ganz einfach geschnitten, denn Anne hatte es früher nur zu Kirchenbesuchen getragen, aber Mary fand, sie sähe darin sehr reif und ernst aus, wie eine junge Frau und nicht wie ein Kind. Über dem tiefen Schwarz wirkte ihre Haut sehr weiß und klar, und ihre Haare leuchteten. Sie zog es an einem Sonntag an, um darin durch die Stadt zu spazieren, und natürlich traf sie Nicolas. Sie genoß seine bewundernden Worte, und war so fröhlich wie schon lange nicht mehr. Ihre Lebensfreude erwachte wieder. Cavendor hatte sie nicht in den Tower gebracht; sie vermutete, daß er die ganze Geschichte nicht aufwühlen wollte, weil sie für ihn selbst zu wenig glorreich verlaufen war. Zudem hatte sie ihm mit ihrer Krankheit einen Schrecken eingejagt. In den Wochen, in denen sie mit dem Tod kämpfte, ließ er sich nie bei ihr blicken und danach versuchte er ebenfalls, ihr aus dem Weg zu gehen.
Es wurde Frühling und die Welt mit jeder Stunde schöner. Mary ging mit Nicolas spazieren und träumte vom nächsten Jahr, in dem sie nach Shadow’s Eyes zurückkehren und Frederic heiraten würde. Einmal griff Nicolas eine der vielen verwahrlosten Katzen auf, die in London überall herumstreunten und setzte sie Mary in den Schoß, aber zu seiner Überraschung brach sie plötzlich in Tränen aus, und erst nach langem behutsamem
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