Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
Forschen erfuhr er die Geschichte von Edward und Marys Katze. Ihr heftiger, ungehemmter Schmerz erstaunte ihn. Sie wirkte oft so erwachsen und selbstsicher, aber ihre Tränen waren die eines Kindes. Ihm wurde plötzlich klar, wie jung sie noch war und wie allein. Sie war der erste Mensch, dem er zu seiner eigenen Überraschung ein Gefühl mitleidiger Sorge entgegenbrachte.
Im Frühsommer und Sommer des Jahres 1532 geschahen drei Dinge, die die politische Entwicklung Englands entscheidend beeinflußten. Als erstes wurde Katharina vom Hofe des Königs – der jetzt ganz offen zusammen mit Anna Boleyn in Windsor Castle lebte – verbannt und bekam den Titel einer Königin aberkannt. Sie durfte fortan nur noch mit »Prinzessin« titutiert werden, in einem kleinen, einsamen Schloß leben und sogar ihre Tochter, Prinzessin Mary, nicht mehr sehen.
Das zweite Ereignis bestand darin, daß der König den Erzbischof von Canterbury, den 82jährigen Thomas Warham aufforderte, die Auflösung seiner Ehe zu verkünden und ihm mit einer Klage drohte, für den Fall, daß er sich weigern sollte. Daraufhin legte Lordkanzler Sir Thomas More empört sein Amt nieder und der Erzbischof starb vor Schreck und Entsetzen.
Cavendor geriet darüber außer sich. »Ein toter Erzbischof von Canterbury!« schrie er. »Damit gibt es keine Instanz mehr im Land, die diese Ehe annullieren kann! Und einen neuen Erzbischof kann nur der Papst ernennen. Ich sage euch, es wird eine Loslösung von Rom geben, sie steht dichter bevor, als ihr glaubt!«
Damit mochte er recht haben. Der König lud den gesamten Hofstaat, die Mitglieder seiner Regierung und den französischen Botschafter nach Schloß Windsor ein, wo sie einer feierlichen Zeremonie beiwohnten, während der Anna Boleyn mit einem funkelnden Diadem zur Marquise Pembroke ernannt wurde. Der König hatte sie in den Adelstand erhoben. Dies war das dritte Ereignis und niemand zweifelte daran, daß darauf noch drastischere Schritte folgen würden.
An einem Septemberabend kam Mary nach Einbruch der Dunkelheit in Anne Brisbanes Zimmer geeilt und schwenkte ein Flugblatt in ihrer Hand. Anne, die über einer Stickerei am Fenster saß, sah etwas ungehalten auf. Ihr Verhältnis zu Mary war merklich abgekühlt, seitdem das junge Mädchen an jenem Wintertag mit Lord Cavendor zusammen ausgeritten war.
»Wo kommst du denn jetzt her?« fragte sie. »Ich dachte, du bist schon im Bett!«
»Ich war in der Stadt«, erklärte Mary. Ihre Haare hingen ihr wirr ums Gesicht und ihre Wangen waren vom schnellen Laufen gerötet. Anne blickte sie mißbilligend an. »Du treibst dich reichlich oft in der Stadt herum. Tust du noch hin und wieder deine Arbeit?«
»Oh, ich mache alles, was man mir aufträgt«, erwiderte Mary verletzt, »und oft sogar noch mehr. Aber ich gehe so gern in die Stadt. Immer wenn ich mit allem fertig bin...«
»Schon gut, schon gut. Du bist jung. Aber ich denke manchmal... es ist doch kein Mann im Spiel, nein?«
Mary, die Nicolas seit zwei Wochen nicht getroffen hatte, schüttelte den Kopf. »Bestimmt nicht, Miss Brisbane.«
»Nun gut. Du müßtest nämlich sehr aufpassen. Ich möchte keine Schwierigkeiten, hörst du? Ich denke, du weißt, was ich meine.«
»Ja, natürlich. Es wird ganz sicher keine Schwierigkeiten geben. «
»Ich wollte dich nur warnen. Und jetzt – was hast du da?« Anne sah auf das Flugblatt. Mary hielt es ihr hin.
»Da steht, daß der König nach Frankreich gereist ist, und zwar mit Anna Boleyn zusammen«, erklärte sie empört, »ich wette, er versucht den französischen König für sich zu gewinnen! Aber daß diese billige Mätresse nun schon an den europäischen Königshöfen aus und ein geht, während die Königin hier zu Hause...«
»Es ist eine Schande«, meinte Anne müde, »aber das ganze Leben, Mary, weißt du, ist oft so ungerecht und so gar nicht zu verstehen. Das muß nicht nur unsere Königin jetzt erkennen.«
Mary betrachtete ihr sorgenvolles, bleiches Gesicht. Arme Anne! Sie litt mit Cathleen, und sie verlor in dieser Zeit viel von ihrer Schönheit. Sie war eine gutaussehende, stattliche Frau gewesen, nun wurde sie mager und ältlich und bekam einen leicht verkniffenen Zug um den Mund.
»Ich werde schlafen gehen«, sagte Mary, »meine besten Grüße an Mylady, wenn Sie sie heute abend noch sehen.«
»Sie ist nebenan«, erwiderte Anne, »sie hat sich schon hingelegt. Es ging ihr nicht besonders gut heute. Immerzu hat sie diese Kopfschmerzen. Dieser
Weitere Kostenlose Bücher