Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
blickte Lady Winter an, die etwas Schwierigkeiten mit ihrem tänzelnden Pferd hatte. Soweit sie das auf die Entfernung erkennen konnte, mußte die Lady etwa fünfzig Jahre alt sein. Sie wirkte energisch und streng.
»Ich verschwinde jetzt. Du weißt, was du zu tun hast. Und...« Cavendor neigte sich zu Mary und schob eine Haarsträhne unter ihren Schal. »Zeig deine Haare nicht. Die Farbe ist zu auffällig. Es könnte sich später jemand daran erinnern. Du wirst deine Sache gut machen, nicht? Du weißt ja, was dich sonst erwartet!«
Er wendete sein Pferd und schon galoppierte er davon, sein Mantel wehte hinter ihm her und der Schnee stob unter den Hufen des Pferdes nach allen Seiten.
Mary preßte das Papier mit dem Gift fest an sich, rief sich alles, was Cavendor über ein Leben im Kerker gesagt hatte, ins Gedächtnis zurück, reckte die Schultern und ging auf das Wirtshaus zu, in der sicheren Erwartung, daß jeder ihr gleich ansehen würde, daß sie in mörderischer Absicht kam.
Aber es geschah nichts. Ohne daß es jemand bemerkte, mischte sie sich in das Menschengewühl. Sie fiel niemandem auf, denn sie sah genauso aus, wie die vielen anderen Dienstmädchen, die hier herumliefen, und kein Mensch interessierte sich für sie. Flink und gewandt schob sie sich durch das Gedränge, wobei ihre Blicke rasch umherschweiften. Endlich erspähte sie den grünen Hut und den flatternden grünen Seidenschleier. Lady Winter war von ihrem Pferd gestiegen und stand dicht neben der Königin, die gerade jemand aus dem Sattel gehoben hatte. Katharina, die sich unbeobachtet glaubte, hatte die Maske fröhlicher Zuversicht fallen lassen, die sie bei ihrem Auszug aus London dem Volk gezeigt hatte. Sie sah aus, als wolle sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Der Anblick dieser schneebedeckten Einöde mußte ihr, der Prinzessin aus dem sonnigen Spanien, wie ein grausam deutliches Gleichnis ihres Lebens vorkommen. Mit der einen Hand strich sie sich müde über die Stirn. Lady Winter flüsterte ihr etwas zu und Katharina lächelte schwach. Sie raffte ihre langen Gewänder und schritt vorsichtig durch den Schnee auf das Haus zu. Die Schleppe ihres Pelzmantels schleifte hinter ihr her und zog eine breite Spur.
Mary begriff, daß sie nun schnell handeln mußte, denn Lady Winter folgte ihrer Herrin, und waren die beiden erst einmal im Star and Crown verschwunden, gelang es ihr vielleicht überhaupt nicht mehr, an sie heranzukommen. Sie sah sich verzweifelt um, da bemerkte sie, daß getreu Lord Cavendors Prophezeiung große Holzbretter mit steinernen Krügen und Bechern in den Hof getragen wurden und daß einige Dienstmädchen herbeistürzten, die Becher ergriffen und den Gästen anboten. Blitzschnell drängte sich Mary vor. Sie nahm einen Becher, der heiß in ihrer Hand brannte und aus dem es betörend nach Apfelwein, Zimt und Zucker duftete, schüttete zitternd das weiße Pulver hinein und drängte sich dann zu Lady Winter durch. Sie schob ein anderes Mädchen beiseite, das sich Lady Winter näherte, obwohl sie wußte, daß ein solches Manöver gefährlich werden konnte.
»He, du dumme Gans, paß doch auf!« rief die andere entrüstet, aber Mary kümmerte sich nicht darum. Sie blieb vor Lady Winter stehen und reichte ihr den Becher.
»Für Sie, Mylady«, sagte sie sanft.
Lady Winter sah aus der Nähe sehr schön aus. Sie war groß und schlank, hatte ein feines, kluges Gesicht, brennend-schwarze Augen und einen energischen Mund. Sie stammte aus einem spanischen Fürstengeschlecht, war als junge Frau im Gefolge der Prinzessin von Aragon an den englischen Hof gekommen, hatte sich durch Heimweh, Unsicherheit, Angst und Kummer gequält, den eleganten Sir Winter geheiratet und ein Kind bekommen. Sie hatte ihren Mann und ihren Sohn an den Pocken sterben sehen und Jahrzehnte gebraucht, um mit diesem Schmerz fertig zu werden. Jeder konnte ihr ansehen, daß sie kein leichtes Leben gehabt hatte, daß sie jedoch an jeder Härte, die ihr widerfuhr, nur stärker geworden war. Beim ersten Blick in die unbestechlichen dunklen Augen wurde es Mary klar, weshalb diese Frau eine so gefährliche Gegnerin für Lord Cavendor war.
»Oh, danke schön«, sagte Lady Winter. Sie hatte eine sanfte, dunkle Stimme. Ihre von dickem Pelz umhüllten Finger griffen nach dem Becher, ihre Lippen legten sich an den Rand, in ihre Augen trat ein genießerisches Leuchten.
»Wie herrlich heiß bei dieser Kälte!«
Vorsichtig wollte sie den ersten Schluck nehmen. Mary
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