Die Sterne von Marmalon - Link, C: Sterne von Marmalon
erfüllte ihren Mund. Ja, dachte sie, weg von London. So weit es nur geht. Mit den beiden zusammen!
Im matten Licht der herunterbrennenden Kerzen sahen Anne und Cathleen wie zwei sanfte, verschwommene Schatten aus. Das Zimmer duftete nach Wachs und nach dem zarten Geruch von Cathleens Maiglöckchenparfüm. Verwundert bemerkte Mary, daß nicht die Aura von Mord und Gewalt zwischen seinen Wänden schwebte, sondern die einer sanften friedvollen Stille.
III
Rosewood stand auf dem alten, verwitterten Holzschild am Wegesrand, in ausgebleichten, blaßgrauen Buchstaben. Am Ende weiter Wiesen, von Rauhreif überzogen, unter grauem Himmel, von dem eine fahle Märzsonne schien, erhob sich das Haus aus grauen Steinen, mit zerbröckelten Dachziegeln bedeckt. An allen Ecken voller Erker und Türme war es ein bißchen wie eine mittelalterliche Burg anzusehen. Ringsum erstreckten sich dunkle Wälder, Sümpfe, aus denen dichte Nebelschwaden aufstiegen, kahle Äcker, von denen sich schwarze Krähen erhoben und kreischend wieder hinabstürzten.
Mary lehnte ihren Kopf aus dem Fenster der Kutsche und sah zum Haus hinüber.
»Was ist das, Miss Brisbane?« fragte sie neugierig. Anne, die in warme Pelze gehüllt tief in ihrem schwankenden Sitz kauerte, hob müde den Kopf. Sie war erkältet und hatte rote, heiße Augen.
»Rosewood«, sagte sie, »es gehört auch Caven... es gehört Mylady. «
»Warum ist es so heruntergekommen?«
»Der Verwalter ist schlampig und wir können uns nicht um alles kümmern. Ich denke, wir sollten es bald verkaufen.«
»Aber es ist wunderschön. Es würde sich lohnen, es wieder aufzubauen. «
»Mary bitte! Niemand von uns ist daran interessiert. Und jetzt sei still. Ich habe Kopfweh!«
Mary schwieg. Das Schild verschwand hinter der Wegbiegung, das Haus entglitt ihren Blicken. Sie ließ sich auf ihren Sitz zurückfallen und starrte wieder auf die gegenüberliegende Wand in dem engen Gefährt. Die Kutsche rumpelte London zu, und Mary spürte einen leisen Abschiedsschmerz. Sie hatten den ganzen Winter in Essex verbracht, in Cavendors Gut Lavender Manor, einem alten Gemäuer mit stillen langen Gängen wie in einem Kloster. Cathleen hatte sich gleich nach dem Begräbnis ihres Mannes dorthin geflüchtet wie ein verwundetes Tier. Sie hatte sich in ihrem Zimmer vergraben, den ganzen Tag vor dem Kamin gekauert, Berge von gerösteten Kastanien verzehrt und ständig danach verlangt, von Anne in die Arme genommen zu werden. Sie benahm sich wie ein kleines Kind, brach unvermittelt in Tränen aus, hatte abends Angst vor der Dunkelheit, wachte nachts schreiend aus ihren Alpträumen auf und weigerte sich, unter Menschen zu gehen.
»Das brauchen Sie doch auch nicht«, sagte Anne dann sanft, »ich kümmere mich um alles und Sie bleiben hier in Ihrer Burg.«
Mary fand, daß dies nicht der richtige Weg sei, Cathleen wieder glücklich zu machen, aber sie wagte es nicht, sich einzumischen.
Außerdem würde sie im Sommer nach Shadow’s Eyes gehen und Frederic heiraten, sie mußte sich um nichts mehr kümmern.
Sie kapselte sich von den anderen ab, worüber Anne keineswegs böse war, und streifte durch die Wiesen und Wälder von Essex. Ein bißchen war es wie in Kent, aber es schien ihr, selbst jetzt im Winter, etwas farbiger und lebhafter zu sein. Gäbe es Marmalon nicht, sie hätte Frederic gebeten, hier mit ihr zu leben. Vielleicht in Rosewood. Aber sie würden wohl nie in der Lage gewesen sein, die Besitzung zu kaufen. Sie hob noch einmal den Kopf, um zum Fenster hinauszusehen, aber nun konnte sie gar nichts mehr erkennen. Die Pferde galoppierten zu schnell, rechts und links spritzte der Schlamm aus den Pfützen hoch. Sicher kamen sie schon bald in London an.
Mary wäre gern bis zum Sommer in Lavender Manor geblieben, aber Anne mußte nach London zurück, um ein paar Dinge zu regeln, die nach Cavendors Tod liegengeblieben waren. Es gab immer noch das große Haus am Strand, in dem eine vielköpfige Dienerschaft
lebte und schon lange nicht mehr wußte, was sie dort eigentlich tun sollte. Anne, die das Haus nicht verkaufen wollte, hatte beschlossen, eine Haushälterin dort einzustellen, der sie die Verwaltung übertragen wollte, aber zu diesem Zweck mußte sie selbst nach London reisen. Eines Tages, am Anfang des ganz langsam erwachenden Frühlings, war Mary von einem ihrer Spaziergänge zurückgekehrt, und in einem der langen, steinernen Gänge kam ihr eine schwarzgekleidete, streng blickende Anne entgegen und teilte
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