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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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auflas und mit zu sich nach Hause nahm.
    Er machte mir etwas zu essen, wusch mich, gab mir Medikamente gegen meinen Tripper – Gott sei Dank hatte ich mich nicht mit AIDS angesteckt – und sorgte dafür, daß ich eine Woche lang in eine private Entziehungsklinik kam.
    Ich war die ganze Zeit über wie betäubt. Nachts fing ich zu schreien an, konnte mich oft stundenlang nicht mehr beruhigen. Dann war er bei mir, streichelte mich und sagte immer wieder in einem eindringlichen, singenden Tonfall: »Es ist gut, Di, alles ist jetzt gut ...«
    Das alles verbirgt sich hinter dem lapidaren Satz, daß wir zunächst aus eher zweckmäßigen Erwägungen zusammenlebten.
    Ich konnte es nicht glauben. Mal lag ich auf den Knien vor ihm, um mich zu bedanken, dann wieder fiel ich in meine College-Manieren zurück und sah in ihm den lästigen Streber und Pickel-Jüngling. Warum konnte es nicht ein anderer sein, der mich gerettet hatte? Ich schrie ihn an, als habe er mich von irgendeiner Partyentführt.
    Erst als ich wieder einigermaßen klar denken konnte, betrachtete ich ihn mit neuen Augen und erkannte, was für ein starker, liebenswerter, hochintelligenter Mann er war. (Er arbeitete damals bereits als Arzt.) Dieses Bild hat sich tief in mein Inneres eingeprägt und ist bis heute unverändert geblieben. Das große Wunder in meinem Leben ist, daß er mich liebt, und ich liebe ihn – mehr als ich es zu sagen vermag und mehr als Du jemals begreifen kannst.
    Nur ein Mensch wie er war dazu fähig, Dich zu retten. Nur er wußte, was zu tun war und wie es zu tun war.
    Ich glaube, daß er eine Zeitlang mit dem Gedanken spielte, Bill Armitage aufzusuchen und fertigzumachen. Aber ich konnte ihn davon überzeugen, daß er damit nichts erreichen würde. Ich vermittelte ihm die einzige Lehre, die ich aus dieser Affäre gezogen hatte – daß nämlich Bill Armitage von seinem armseligen Standpunkt aus vollkommen richtig und logisch gehandelt hatte. Scott Fitzgerald drückte es einmal so aus: »Die Reichen sind anders.« Und die ganz Reichen sind ganz anders. Es kann passieren, daß sie sich in ein armes Mädchen verlieben, aber dabei bleibt es dann meist. Eine Heirat ist eine geschäftliche Angelegenheit. Und Geld heiratet Geld. Ich hatte mich ganz einfach aus dem Kreis der geschäftsfähigen Partner herausbewegt, und er ging davon aus, daß ich das auch wußte.
    Also schön, Di, Du weißt nun, wie stark das Gefühl ist, das Dich an Don bindet – und ihn an Dich, falls es das Schicksal so will. Don hält es ein wenig mit den Chinesen: Sie glauben, wenn man einem Menschen das Leben rettet, dann trägt man auch in Zukunft die Verantwortung für ihn. Und, Di, es ist eine Liebe, wie Du sie nie zuvor kennengelernt hast. Er scheint diese Liebe übrigens schon im College für mich empfunden zu haben, auch wenn er sich nie etwas anmerken ließ.
    Du ahnst nicht, wie mich der Gedanke schmerzt, daß ich Dir diesen furchtbaren Weg nicht ersparen kann. Aber noch gibt es keine Möglichkeit, sich in der Gegenwart an die Ereignisse der Zukunft zu erinnern, geschweige denn, sie zu verändern.
    Mein armes junges Ding, Dein älteres Ichgrüßt Dich in Liebe vom anderen Ufer des schrecklichen Ozeans, den Du erst noch überqueren mußt.
     
    – Diane Pascal,
    geschrieben im Alter von 75 Jahren.
     
    Und darunter, in einer größeren Schrift, der man die Emotionen ansieht:
     
    Di – Um Himmels willen, gib Dir Mühe, ihn glücklich zu machen! Versuche ihn zu lieben! Er ist ein wunderbarer Mann, und Du verdankst ihm Dein Leben, Dein Glück – einfach alles!
     
    Als sie den Brief wieder in der Schublade verstaut, merkt sie, daß Don wach ist. »Was ist das?“
    »Ach – nur ein paar Zeilen, die ich an mich selbst geschrieben hatte. Weiberkram.“
    »Hmm.« Aber er bohrt nicht weiter nach. »Alles in Ordnung?“
    »Ja, natürlich ... Henry ist bei mir.«
    »Dann wirf ihn raus, und sieh zu, daß du ein wenig Schlaf bekommst, sonst bist du morgen früh todmüde. Oder kannst du nicht einschlafen, Liebes?«
    »Nenn mich nicht so!« murmelt sie mit zusammengebissenen Zähnen, aber so leise, daß er es nicht hören kann. Sie nimmt Henry, setzt ihn vorsichtig auf den Boden und streckt sich dann richtig aus. Erst jetzt merkt sie, wie erschöpft sie ist. Don atmet tief und ruhig; er hat bereits wieder die Augen geschlossen und schläft. Aber kurz bevor sie ebenfalls eindämmen, spürt sie eine Bewegung. Wie aus alter Gewohnheit tastet Don nach ihrem Arm. Sie wehrt sich

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