Die Sternenkrone
nicht. Seine Hand findet die ihre und hält sie so warm und liebevoll fest, daß ihre Barrieren zu bröckeln beginnen. Haben ihre älteren Ichs so geschlafen? Sanft erwidert sie seinen Händedruck, er seufzt, und dann schläft auch sie ein.
Ihr letzter Gedanke gilt dem Revolver in der Nachttisch-Schublade. Sie sagt Don nichts davon, weder an diesem Tag noch später.
Die Tage vergehen wie in einem Traum. Sie holen ihre neuen Ausweise ab und sehen zu, wie ein Experte der Spurensicherung sorgfältig die neuen Daumenabdrücke mit den alten vergleicht. Alles stimmt genau überein. Und sie lernen den Umgang mit ihren Dreirädern. Fremde winken ihnen im Vorüberfahren zu. Sie winken zurück, wagen aber noch nicht anzuhalten.
Die Eimkaufszone nahe der Westpforte mit ihren großen Warenhäusern ist ein fröhliches Durcheinander, und es stellt sich heraus, daß man praktisch alles bekommt. Auf ihrer Suche nach besser sitzenden Hosen finden Di und Don rasch das Passende – und der Verkäufer zeigt ihnen einen dicken Katalog mit den tollsten und ausgefallensten Angeboten. Allem Anschein nach sind die Läden in allen Enklaven gleich: Sie haben die gängigsten Artikel auf Lager und unterhalten daneben einen großen Bestelldienst für Leute mit Extrawünschen. Di hat in ihren Kleiderschränken keine Shorts gefunden, und nach einer kurzen Rückfrage bei Fred über die Kleidervorschriften dieser Epoche ersteht sie einen Playsuit mit Tunnelgürtel. Offenbar hat ihr älteres Ich diese Mode aufgegeben; zu viele Krampfadern, vermutet Di düster.
Sie zahlen mit der Kreditkarte der Enklave 47, die dem Brief beigelegt war und den Hinweis enthielt: »Versucht unter 300 Dollar zu bleiben, Kinder!«
Die Verkäufer in den Warenhäusern mustern sie offen, lächeln ihnen zu und sagen Dinge wie: »Viel Spaß hier bei uns!«
Viel Spaß?
Nun, wie sich herausstellt, macht die Gala im Kennedy Center tatsächlich Spaß. Der Bogen der Darbietungen spannt sich von der Zeit vor ihnen bis in die Gegenwart. Ein Teil der neuen Musik klingt in ihren Ohren verwirrend, aber sie freuen sich über den Wettstreit zweier Sopranistinnen, die sich in den hohen Tonlagen zu überbieten versuchen, und da ist der junge Tänzer aus Enklave 72, der wohl in jeder Epoche Begeisterungsstürme hervorgerufen hätte. Das Kennedy Center selbst hat sich verändert. Da es gleich zu Beginn der Unruhen Brandstiftern zum Opfer fiel, nutzte man die Gelegenheit zu einem Umbau.
Und sie werden in Gespräche verwickelt, Fred stellt sie >ihren Freunden< vor, einer Reihe von Leuten in allen möglichen Altersgruppen. »Ich erkannte dich sofort an Dianes Kleid«, sagt eine Linda Sowieso lachend. »Aber Di hat in dem Ding niemals so ausgesehen! Ich werde ihr erzählen, wie gut es dir steht. Moment mal, wir müssen unbedingt ein paar Holos machen. Freddie, hast du schon welche aufgenommen?« Als Freddie gesteht, daß er daran nicht gedacht hat, muß er eine Strafpredigt über sich ergehen lassen, und ehe sie begreifen, worum es geht, haben sie eine Verabredung für Holo-Aufnahmen getroffen. Mehr Leute bedrängen sie, und aus dem Fototermin wird rasch eine Party. »Dieses Kleid braucht den richtigen Rahmen! Aber wir bringen das Essen mit. Ihr beide macht euch einfach hübsch, und den Rest besorgen wir. Marly, kann ich dich irgendwie dazu erpressen, einen deiner phantastischen Bananen-Puddings zu stiften?« Marly sagt sofort zu, andere wollen Salate mitbringen, und ein rothaariger Mann verspricht hoch und heilig, für Henry Kater ein Lammkotelett aufzutreiben.
»Wie hat Henry den Wechsel aufgenommen?« fragt jemand.
»Nun, er läßt sich gelegentlich dazu herab, auf unserem Schoß zu sitzen«, berichtet Don, »aber ich glaube doch, daß er seine rechtmäßigen Hausgenossen vermißt. Er schnüffelt ziemlich befremdet an uns herum.« Andere reden über Sportereignisse. Offenbar hat ein achtzigjähriger ehemaliger Tennis-Champion gerade seinen Zeitsprung vollzogen und den derzeitigen Wimbledon-Sieger zum Duell herausgefordert. Natürlich wählte er die Epoche, in der er auf dem Höhepunkt seines Könnens stand.
»Es wird sicher ein aufregendes Match«, meint der Rothaarige. »Und es setzt wohl ein für allemal den Spekulationen ein Ende, ob Boris ihn in seiner Bestform hätte schlagen können. Wir werden ja sehen!«
»Habt ihr schon vom neuesten Projekt der Cleveland Opera gehört? Das gesamte Ensemble will sich fünfzig Jahre in die Zukunft versetzen und dort Opern aufführen – so
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