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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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großem Fuß herum. Daß der Erdball nur ein durchschnittlicher Planet sein könnte, ließ sie nicht gelten; für sie war er großartig. Und dann gab es noch die gelbe Sonne, um die sie alle so treu ergeben kreisten.
    Das war der erste Stich, der ihr versetzt wurde.
    Was genau verband IHN mit diesem feurigen Körper? Was hatte es mit dieser Anziehungskraft auf sich, der ER so stark ausgesetzt war?
    Sie blieb wie angewurzelt auf der Treppe zur wissenschaftlichen Fakultät stehen und blinzelte zur Sonne hinauf. Der Mittelpunkt SEINES Lebens, SEIN glühender Stern! Könnte es sein – war es möglich, daß diesem strahlenden Himmelswesen SEINE wirkliche Liebe galt? War das SEINE rechtmäßige Partnerin, zuder ER sich öffentlich bekannte?
    Vernichtet sank sie auf die Stufen. Feuer brannte unter ihren geschlossenen Augenlidern, Demütigung in ihrem Herzen. Natürlich, dachte sie. Sie ist SEINES-gleichen. Ich bin nichts – ein Spielzeug, SEIN Schoßtierchen, das er sich zur Zerstreuung hält. Sie – mit ihren zehntausend Grad schon in der Photosphäre – sie ist SEINE Frau!
    Vom Rest des Tages wußte sie nur noch, daß sie zwei starke Schlaftabletten genommen hatte.
    Als sie am nächsten Morgen aufwachte, stellte sie fest, daß dieser erste Alptraum vorbei war. Wie konnte sie nur so dumm gewesen sein, fragte sie sich, warum hatte sie nicht die einfachen Zusammenhänge gesehen? Kleine Wesen um ein großes herum – die Sonne war nicht SEINE Partnerin, sondern SEINE Mutter.
    Erleichtert ging sie zur Vorlesung, doch nur, um einen neuen Schlag versetzt zu bekommen. Der Erdball, so erfuhr sie, umkreiste seinen stellaren Elternteil schon seit sehr langer Zeit. Tatsächlich seit etwa fünf Milliarden Jahren. Selbst nach planetarischen Maßstäben erschien ihr das als eine entschieden zu lange Zeit, die ein Sohn am Schürzenzipfel seiner Mutter hängen durfte. Warum ging ER nicht endlich SEINER eigenen Wege? Und SEINE Planetengeschwister schienen ebenso zufrieden damit zu sein, bis in alle Ewigkeit in der Obhut ihrer Mutter zu bleiben. Wie traurig! Doch Moment mal – was hatte es mit den Asteroiden auf sich? Vielleicht hatte es einen Planeten an fünfter Stelle im Bode-System gegeben, ein Wesen, das sich irgendwie losgelöst hatte, ausgeschlüpft und davongeflogen war, wobei es Bruchstücke seiner Schale zurückgelassen hatte. Sollte der Erdball doch das gleiche tun!
    Sie befragte ihren Professor dazu, und ihre Hoffnung schwand. Diese verstreuten Steinbrocken waren ihrer Masse nach wahrscheinlich nur die lebensuntüchtigen Bruchstücke eines fehlgeborenen Planeten, einer Frühgeburt, wie – sie erschauderte – ein Steinbaby.
    Nein, keiner von ihnen hatte es geschafft, flügge zu werden. ER war für immer gefangen in dem trostlosen Kreis SEINER Mutter. Der Gedanke bedrückte sie; die Gewißheit, irgendwann einmal die strahlende Vereinigung zu erleben, an der sie so lange festgehalten hatte, war erschüttert. Sollte ihre große Liebe wie ein kleinbürgerliches Verhältnis enden, in dem der Sohn die Braut mit nach Hause bringt, damit sie bis in eine öde Unendlichkeit ihr Dasein unter der Fuchtel der Mutter fristen sollte? NEIN! Bestimmt hatte ER größere Ziele. Bestimmt war es SEIN Wunsch, sich zu befreien. Vielleicht könnte sie IHM helfen.
    Sie suchte erneut ihren Professor auf und fragte ihn darüber aus, welche Kraft erforderlich wäre, um den Erdball aus SEINER Kreisbahn herauszubrechen, damit ER frei im Raum schweben könnte. (Der Professor sah, wie ihr junger Schoß pulsierte, und ermahnte sich, daß das Lehramt eine Sache des geheiligten Vertrauens war.) Seine etwas zusammenhanglose Antwort mißfiel ihr so sehr, daß sie sich hinterher nicht genau daran erinnern konnte. Den Erdball zu bewegen, das sah sie ein, überschritt bei weitem die Fähigkeiten der Menschen. Selbst wenn es dem Erdball gelingen sollte, aus eigener Kraft wie eine Rakete davonzuschießen, wäre damit nicht mehr erreicht, als daß SEINE Umlaufbahn nach außen verschoben würde. ER war für immer in der Falle.
    Sie ging niedergeschlagen weg, um einen Spaziergang am winterlichen Strand zu machen, voller Sehnsucht, SEINE Gegenwart zu spüren, die tiefgehende, erhebende Beziehung zu IHM. Ihr wurde bewußt, daß sie SEINE Nähe seit längerer Zeit nicht mehr gespürt hatte. Was war los? O mein Geliebter, wo bist du? Sprich zu mir! flehte sie schweigend. Die Brandung klatschte nichtssagend gegen den Strand. Kein Zeichen.
    Der boshafte Verdacht fuhr ihr

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