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Die Sternenkrone

Die Sternenkrone

Titel: Die Sternenkrone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Jr. Tiptree
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durch den Sinn, daß ER sich gar nicht trennen wollte, weil ER sich dort ganz behaglich fühlte, weil ER stumpfsinnig zufrieden war mit SEINER Mutter. Um sich abzulenken, sah sie sich einen Brief an, den sie zerknüllt in der Hand hielt. Er war von Reinhold. Es ging um eine weitere langweilige Vermehrung ihres Vermögens. Noch ein Geschenk von IHM – doch nicht das, nach dem sie sich verzehrte.
    Als der Mond über den Hügeln der Küste auftauchte, tauchte gleichzeitig mit ihm ein erschreckender Gedanke auf. Sie war eine Zeitlang von einem älteren Verehrer auf ziemlich unangenehme Weise belästigt worden; er hatte zum Beispiel diamantbesetzte Ohrgehänge in ihrem Grapefruitkompott versteckt. Und sie wurde von ihm überhäuft mit zweideutigen Anspielungen und Geschenken und noch mal Geschenken.
    War der Erdball etwa ... alt?
    O nein! O nein!
    Doch während sie den Blick weiter auf den geröteten Mond gerichtet hielt, wuchs in ihr die Gewißheit. O ja – das würde alles erklären. Dieses ganze Blendwerk von Neckereien und Schmeicheleien, die Versprechen, die zu nichts führten. Die unendlich nutzlosen Geschenke. Die Vernichtung ihrer ganzen Familie, sie als einzige Hinterbliebene – war das nicht die Tat eines eifersüchtigen Greises?
    Fünf ... Milliarden ... Jahre? ER war kein jugendlicher Liebhaber voller Manneskraft. ER war alt ... alt ... alt!
    Und diese abgewirtschaftete alte Mondkugel da oben – war das nicht in Wahrheit SEIN altes Weib, das nicht von IHM lassen wollte? Ja, ER hatte ihr sogar geheime Botschaften geschickt. Ganz bestimmt war ER alt. Alt! Das war unerträglich, zum Verzweifeln.
    Sie ließ sich in den Sand fallen und weinte wie ein Kind. Doch als ihre Tränen versiegten, erkannte sie eine weitere Wahrheit. Sie liebte IHN immer noch. Für SEIN Alter, dachte sie betrübt, konnte ER nichts. Sie mußte sich damit abfinden, mußte versuchen, dem letzten Aufflackern SEINES Lebens Freude abzugewinnen. Sie liebte IHN schon zu lange, um damit aufzuhören. ER war alles, was sie hatte.
    In der Seele krank, wollte sie nichts anderes als weglaufen. Anläßlich ihres Abschieds vom College vermachte sie Onkel Hilliards wichtigste Patentrechte dem Observatorium, doch sie selbst blickte nie mehr hinauf zu den Sternen. Wenn jemand einen Scherz machte über den >guten, alten Mars<, dann brach sie in Tränen aus.
    Wohin sollte sie gehen, was sollte sie tun? Einer Eingebung folgend floh sie in den Wald, der SEIN erster Tempel gewesen war; er kam ihr geschrumpft und abgestorben vor. Sie besuchte nicht einmal den großen Felsen, sondern sandte die Schlüssel des ganzen Anwesens an einen Immobilienmakler – ein unvorstellbares Vorgehen – und floh zurück in ihr New Yorker Penthouse.
    Es war die finsterste Zeit in ihrem Leben, mit Ausnahme einer anderen Phase.
    Aus Angst vor dem Alleinsein nahm sie aufs Geratewohl alle möglichen Einladungen an, doch sie ertrug es nicht, wenn gelacht wurde; noch während die ersten >Hallos< ausgetauscht wurden, floh sie bereits wieder. Sie nahm sich mehrere Liebhaber und vergaß ihre Namen. Reinhold traf sie ins Gebet zu IHM versunken an und schickte ihr zwei Psychiater. Als sie sich weigerte, auch nur mit einem von ihnen zu sprechen, schickte er einen dritten, als Elektriker verkleidet. Dieser verbrannte sich die Hand im Sicherungskasten.
    Dieser Tiefpunkt war der Anfang einer Phase, die sie später als die Zeit der OMEN bezeichnete. Doch sie war zu niedergeschlagen, um zu begreifen.
    Es fing mit sanften Hinweisen an. Die Rechnung ihres Blumengeschäfts wurde versehentlich nach Alaska geschickt. Sie rief ihre Autowerkstatt an und war plötzlich mit einem Kind in Labrador verbunden. Als es Frühling wurde, füllte sich ihr Briefkasten mit Werbematerial von Ausstattern für Arktisexpeditionen, und ein Reisebüro sandte ihr unablässig ausgearbeitete Pläne für eine Charterreise zur Hudson Bay, die sie angeblich angefordert hatte.
    Verzweifelt ließ sie sich von einem neuen Liebhaber in ein privates Skigebiet in Montana begleiten. Nachdem sie ihn am Morgen tödlich beleidigt hatte, machte sie sich allein mit den Skiern auf den Weg, um ihren gemieteten Mercedes in Empfang zu nehmen. Sie hatte das Gefühl, daß die Tiere sich irgendwie merkwürdig benahmen. Drei Antilopen kamen so nahe an sie heran, daß sie sie berühren konnte; ein Luchs trottete neben ihr her. Als sie eine Rast einlegte, kam ein Cojote zu ihr und zupfte mit den Zähnen an ihrem Parka.
    »Du bist genauso verrückt

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