Die Sternenkrone
– in Erfüllung gehen sollen?«
Sie will schon freudig erregt antworten, da besinnt sie sich: Dies ist keine gewöhnliche Konversation. »Ja ... ich meine – ja, natürlich!«
»Dann wirst du jetzt mit mir kommen. Diese Stunde steht unmittelbar bevor.« Er entfaltet einen großen, hauchdünnen schleierartigen Umhang, den er über dem Arm getragen hat.
Sie starrt ihn einen Augenblick lang an, dann packt sie Spiegel und Haarbürste und beginnt fieberhaft zu arbeiten. »Oh, aber meine ... und die Nase ... warte!«
»Darum wird man sich augenblicklich kümmern, keine Sorge.« Er nickt in Richtung einer älteren Dame und deren Zofe, die lautlos hinter ihm eingetreten sind und damit begonnen haben, allerlei Dinge aus Amorettas Schränken und Frisiertisch auszuwählen und sie in eine große unauffällige Tasche zu legen. »All dies wirst du in Kürze wiedersehen. Und jetzt leg dies hier um ... so ist es richtig, es muß dein Gesicht bedecken ... und komm mit mir. Sprich zu niemandem. Wir müssen hoffen, daß niemand dich erkennt.«
Sie folgt ihm hinaus aus ihren Gemächern und durch den hinteren Teil des Palastes, den sie gut kennt, wo jedoch so viele Fremde kommen und gehen, daß es auf einen mehr oder weniger nicht ankommt. In einemkleinen Hof steht ein langer, niedriger, unauffälliger Wagen mit einem Fahrer in Zivilkleidung; in diesen Wagen hilft der Ratsherr Amoretta. Als sie Platz genommen haben und der Wagen sich in Bewegung setzt, räuspert er sich und spricht.
»Also, meine Liebe. Du mußt wissen, daß es eine gewisse Stunde gibt, die, wenn ich so sagen darf, in der Geschichte Ecologia-Bellas nicht aufscheint und auf unseren Uhren nicht gezählt wird. Ich sage dies gleichnishaft, um damit auszudrücken, daß Handlungen oder Taten, die während dieser einen Stunde gesetzt werden, als nicht stattgefunden betrachtet werden. Sie existieren offiziell nicht. Und diese Stunde ist jene unmittelbar vor einer königlichen Hochzeitszeremonie – somit jetzt gleich beginnend.«
»Aber was ...?« beginnt sie, denn in den vergangenen Wochen ist ihre Verwirrung immer größer geworden. Man hat ihr gesagt, daß sie Adolesco nicht heiraten darf, und nun sieht es ganz danach aus, als ob dies doch möglich sei. Sie war nicht so närrisch zu hoffen – und hat es dennoch getan, ein bißchen wenigstens. Was sie jedoch vage erwartet hat, das war etwas Offizielleres, ja selbst etwas Katastrophales, aber nicht diesen merkwürdigen Vorgang.
»Ich weiß, ich werde entführt.«
Der Ratsherr hebt die Hand.
»Nein. Erlaube mir fortzufahren. Der Grund für die Existenz dieser inoffiziellen Stunde ist die Tatsache, daß vor langer Zeit die Weisen von Ecologia-Bella entschieden haben, die Paraden, Reden, endlosen Stunden der Formalitäten und der verschiedensten lukullisch untermalten Lustbarkeiten eines langen Hochzeitstages seien einem für das junge Paar glückhaftem Ergebnis der darauffolgenden Nacht abhold. Die beiden seien erschöpft, nervös, überfüttert von den vielen Leckerbissen und den vielen Reden und so weiter und so fort, wenn man sie dann endlich im immer noch vorhandenen grellen Schein der öffentlichen Aufmerksamkeit allein läßt. Kannst du mir folgen?«
»O ja! Tatsächlich ...«
Seine Hand hebt sich wieder.
»So wird also dafür gesorgt, daß die beiden allein sein können, solange sie sich noch frisch fühlen, zu einer Stunde, welche nicht existiert, an einem Platz, der sich in keinem Reiseführer wiederfindet, um dort zu tun, was immer ihr Herz begehrt – und zwar in absoluter Zweisamkeit, wie es einem der kostbarsten Augenblicke des Lebens gebührt. Dort, wo ich dich jetzt hinbringe, darfst du die königlichen, die jungfräulichen Skrupel und Zwänge ablegen, welchen du dich bisher so tapfer unterworfen hast, denn dies ist ein alter Brauch, welcher seit undenklicher Zeit in allen Einzelheiten festgelegt ist. Es gibt nichts, wovor du dich ängstigen mußt, nichts, was du tun mußt, außer für die Erfüllung deiner eigenen Wünsche zu sorgen; und verlaß dich darauf, daß wir dich zur rechten Zeit zum Altar bringen werden. Das Volk wird seine Zeremonien, Paraden und prächtigen Bilder haben, und alles wird bestens arrangiert sein, genauso wie damals, als deine jungfräuliche Frau Mutter diesen Weg ging. Kannst du mir immer noch folgen?“
»O ja! Ja, natürlich! Wie wunderbar! Aber ...“
»Aber in deinem Fall, meine Liebe«, fährt er mit fester Stimme fort, »in deinem Fall gibt es einen Unterschied.
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