Die Sternenkrone
Keimplasma. Ich muß die Kontrolle über Kevin bekommen. Selbst wenn er den Baumstamm nicht beiseite schaffen kann, so kann er doch wenigstens die befruchtungsfähigen Eier meines Nachbarn zu mir bringen und meinen Pollen zu ihm, weitaus besser, als das irgendeiner meiner Gehilfen könnte.
Was soll ich jetzt tun?
Zuerst muß ich Kevin fest an mich binden, damit er den Bemühungen des zweiten Wesens, uns zu trennen, widerstehen kann. (Hinter uns spüre ich die ärgerlichen Gedanken von >George<, der uns sucht.) Ich benutze dazu am besten Kevins stärkstes Verlangen, das nach dieser >Clare<, die er verloren hat. Ich habe Bilder von ihr aus seinen Gedanken herausgefiltert, und an einer Wegbiegung zeige ich ihm ein Trugbild von ihr. Es ist verschwommen und gleich wieder verschwunden, aber es wirkt – er ruft: »Clare!« und läuft zur Biegung vor, wo er freilich nichts vorfindet.
Wenn er in meine Höhle kommt, muß sie dort sein, nahe genug. Schaffe ich das? Ich durchforste seine Erinnerungen nach Augenfarbe, Haare, Hautoberfläche, Bewegungen. Diese ungewollten Erinnerungen verstören Kevin, aber ich kann nichts daran ändern, ich muß es herausfinden. Ich entscheide mich, sie einen Moment lang auf dem vorspringenden Felsen thronen zu lassen, bevor sie in den kurvigen Gängen der Höhle verschwindet. Das Licht in der Höhle ist dämmrig, und durch das Wasser, das über den Höhleneingang rauscht, flackerig. Vielleicht, mit etwas Glück ...
Doch wie bringe ich es zustande, daß sie spricht? Sie muß mindestens seinen Namen sagen können. Und noch etwas wie zum Beispiel: Warte. George hat das auch gesagt. Wird es mir gelingen, ihren Tonfall zu treffen? Ich entdecke Erinnerungen an ihre Sprechweise und konzentriere mich ...
Doch dann überfällt mich ein neuer Gedanke. Ich muß Kevin dazu bringen, die Höhle zu verlassen und weiter bachaufwärts zu gehen, dorthin, wo der Baumstamm liegt, um ihn zu entfernen. Deshalb muß das Trugbild etwas Derartiges zu ihm sagen. Natürlich könnte ich einfach ein Bild dieser Aufgabe in seinen Kopf projizieren, wie ich es bei meinen Gehilfen immer tue, aber Kevin braucht eine starke Motivation, um diesen Ort zu verlassen, an dem er glaubt, seine Clare endlich wiedergefunden zu haben. Nur ihre eigenen Worte können dies bewirken. Ich sehe schon, ich muß mehr von Kevins Sprache wissen. Ich entscheide mich, die Zeit unseres gemeinsamen Weges dafür zu nutzen, sie zu lernen.
Als wir so entlanglaufen, überkommt mich plötzlich ein Gefühl des Wohlbehagens, der Vollkommenheit. Irgendwie scheint das hier Teil des richtigen Lebens für mich zu sein. Dieses Wesen besitzt Eigenschaften, die ich auch bei mir entdeckt habe, die ich aber nicht nutzen kann. Wofür besitze ich zum Beispiel das Verständnis mündlicher Sprache, wo mein Körper doch selbst weder atmet noch Kehle oder einen Mund besitzt, mit dem ich sprechen könnte? Wieso begreife ich alles, was ich sehe, obwohl ich nur die von mir fernen fehlerhaften Augen meiner Gehilfen benutze? Ich habe schon oft über diese Dinge nachgegrübelt. Dieses Wesen hier hat Augen und Ohren, kann sprechen und es kann sich frei bewegen. Ob es eine Art Supergehilfe ist, der für mich vorbestimmt ist und der auch dann bei mir bleiben wird, nachdem er den Baumstamm beseitigt hat? Vielleicht für immer?
Aber ich habe schon gemerkt, daß Kevin kein bloßer Gehilfe ist, dessen Fähigkeiten auf einfache Aufgaben beschränkt sind. Er ist auf irgendeine Weise selbst eine eigenständige Persönlichkeit. Da ich an meine Wirtspflanze und an meine Höhle gebunden bin, kann ich nicht mit ihm fortgehen. Ob er eine neue Art Wirt für mich sein könnte? Nein, das ist unmöglich. Ich entdecke keinen Weg, mich in ihm einzunisten. Was soll ich also tun? Ich wünsche mir so sehr, daß wir beide gemeinsam zu den weisen Älteren gehen könnten, die ganz weit dort unten am Bach wohnen!
Gerade als ich darüber nachdenke, zögert Kevin und bleibt stehen. Er ist bei den Felsen unterhalb des Wasserfalls angekommen, wo sich der Weg verbreitert. Ich könnte ihm einen direkten Befehl senden, aber statt dessen lasse ich ihn einen kurzen Blick auf Clare hoch oben zwischen den Felsen am Ufer erhaschen. Sie winkt ihm zu und entschwindet dann in Richtung Wasserfall. Augenblicklich jagt Kevin hinterher, sieht die Gestalt am Ufer des Tümpels, von wo aus sie auf dem Felsvorsprung entlangläuft, der hinter das herabrauschende Wasser führt.
»Clare!«
Er rennt ihr nach und steht so
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