Die Sternseherin
unfassbar!
»Darf ich Ihnen die anderen Räume zeigen?« Asher nickte Estelle zu und sie wurde den Verdacht nicht los, dass er sich hier ungeachtet seiner bekannt ausdruckslosen Mimik bestens auskannte. Die Vampirin in Dienstmädchenuniform zeigte nacheinander zwei moderne Schlafzimmer mit angeschlossenen Bädern, von denen jedes größer zu sein schien als ihre gemeinsame Wohnung mit Manon. In einer Küche nebst gefülltem Kühlschrank machte sie Halt. Estelle folgte und sah sich um. Alles wirkte normal, so normal, wie Räume von der Wohnfläche eines Einfamilienhauses eben waren. Von Blutkonserven jedenfalls keine Spur, stellte sie überrascht nach einem Blick in den gut gefüllten Kühlschrank fest. Da zog ihre Begleiterin eine Schublade auf, in der ebenfalls gekühlt mindestens 10 Flaschen standen. Estelle nahm eine heraus und sah auf das Etikett. »Dizzy Danes (AB+) Vegetarier/30«, war darauf zu lesen, sie stellte die Flasche schnell wieder zurück. »Danke, ich glaube, ich habe genug gesehen.« Hastig floh sie aus der Küche.
»Sollten Sie etwas benötigen, können sie jederzeit läuten.« Das Mädchen zeigte auf ein Telefon. »Einfach nur die ›0‹ wählen.«
»Danke, Juliette!« Asher steckte ihr etwas zu. Sie sah unauffällig in ihre Hand und schenkte ihm anschließend ein strahlendes Lächeln. Danach zog sie sich rückwärtsgehend zurück. Vielleicht gar keine so schlechte Idee, bedachte man, in was für einem Haushalt sie beschäftigt war.
»Was hast du ihr gegeben?«, wollte Estelle wissen.
»Trinkgeld. Es mag zwar nicht so aussehen, aber diese Welt unterscheidet sich weniger von der, die du kennst, als man denken könnte.« Seine tiefe Stimme jagte einen Schauer der Erwartung über ihre Haut. »Mein Stern!« Ein Wort und schon flog sie in seine Arme. Nach einem hungrigen Kuss fuhren sie auseinander. Sara! Der Gedanke wurde gleichzeitig in ihnen laut. Aber sie hätten sich keine Sorgen zu machen brauchen. Die Anwältin lag vollständig bekleidet auf ihrem königlichen Bett und schlief. Behutsam zog Estelle ihre Schuhe aus und deckte sie zu. Danach sah sie sich suchend um. Die Eingangstür war von magischer Hand versiegelt und nicht mehr zu entdecken. Auch gut, dann konnte die verwirrte Feentochter wenigstens nicht unbemerkt hinausschlüpfen und womöglich von einem herumirrenden Blutsauger vernascht werden. Aus Erfahrung wusste sie, wie schwierig es war, sich an derart beunruhigende neue Lebensumstände zu gewöhnen. Leise zog Estelle die Verbindungstür zu und kehrte zu Asher zurück, der gerade den Telefonhörer wieder auflegte. Sie sah ihn fragend an.
»Ich habe Arrangements getroffen, dass unser Gepäck aus Cambridge hierher gebracht wird.«
»Aha! Du hast also Gefallen an deinen neuen Klamotten gefunden?«
Asher bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, doch dann spürte er ihre Enttäuschung und sah sie verschmitzt an. »Sie sind ganz in Ordnung.«
»Oh, du ...!« Estelle lachte. »Gib zu, mein Geschmack ist perfekt.«
Alles an dir ist perfekt!, dachte er und fragte dann laut: »Du weißt nicht zufällig, wo Sara wohnt?«
»Doch, zufällig schon.« Sie nannte ihm die Adresse.
»Ich werde mich dort einmal umsehen.«
»Dann kannst du ihr gleich die Sachen mitbringen, die wir heute Nachmittag gekauft haben.«
»Dann sollte ich vermutlich jemanden mitnehmen, der mir beim Tragen hilft.«
»Das wäre sicher nicht verkehrt, aber ich könnte doch mitkommen.«
Er strich ihr sanft über die Wange. »Es tut mir leid, mein Stern, das wäre viel zu gefährlich.«
»Dann schick jemanden von Nells Leuten.«
»Ich möchte mir selbst ein Bild machen.«
Estelle bemühte sich, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie traute Nell nicht und blieb ungern alleine zurück. Ihr Gesicht verriet keines dieser Gefühle, als sie sagte: »Ich komm schon zurecht, aber ich mach mir große Sorgen um Sara. Sie verdrängt nicht nur die Wahrheit über ihren nichtsnutzigen Vater, sie unterdrückt auch das Wissen um ihre Abstammung.«
»Ich will sehen, was ich tun kann. Vielleicht gelingt es mir, ihre Mutter zu überzeugen, mit ihr zu reden. Zuerst jedoch muss ich Julen finden.«
Er gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze, das schien ihm am sichersten, um nicht wieder in Versuchung zu geraten, und ging zur Tür.
»Go dtuga Shalim slán abhaile thú«
Asher blieb wie angewurzelt stehen. »Wie bitte?«
»Das ist Gälisch.«
»Ich weiß, aber ich hatte keine Ahnung, dass du diese Sprache sprichst.«
Estelle
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