Die Sternseherin
»Es war einmal meins«, gab er schließlich zu, »aber das ist schon lange her und inzwischen bringt Nell hier alle möglichen Gäste unter.«
»Und die dürfen deinen Whisky trinken?«
Asher lachte. »Natürlich dürfen sie das, solange sie dafür bezahlen. Die Brennerei gehört mir.«
»Dann schulde ich dir vermutlich einen Haufen Geld. Jedenfalls fühlt sich mein Kopf so an, als hätte ich eine ganze Flasche getrunken.«
»Das wären dann, lass mich überlegen, 450 Pfund, meine Dame!«
»Kann ich auch in Naturalien zahlen?«
»Zeigen Sie mal her, was Sie zu bieten haben!« Er zog ihren Kopf zu sich hinab und gab ihr einen zarten Kuss. »Es ist heller Tag, lass uns das auf später verschieben.«
Estelle sah ihn seltsam an, stand dann aber auf und ging ins Bad. Ihr Gang wirkte unsicher, die Haut fast transparent, deutliche Zeichen dafür, dass ihr zarter Körper die Anstrengungen der Nacht längst nicht verarbeitet hatte. Er seufzte. Selbst tagsüber fiel es ihm schwer, sich in ihrer Nähe zu beherrschen, er mochte dann vielleicht müde sein, aber bestimmt nicht tot. Ashers Körper jedenfalls war in diesem Moment hellwach und voller Erwartung auf eine erotische Begegnung mit seiner Geliebten. Doch das wäre egoistisch und rücksichtslos, beides wollte Asher ganz gewiss nicht sein, und so rollte er sich zur Seite und gab vor zu schlafen, als er Estelles tastende Hand spürte. Wieder einmal flehte er die Götter um Selbstbeherrschung an und war erleichtert, als sie schließlich ihre zaghaften Versuche, ihn zu verführen, aufgab und er bald darauf ihren gleichmäßigen Atem hörte. Er erhob sich lautlos, um nach Sara zu sehen. Sie wirkte entspannt und schien fest zu schlafen. Asher wollte sich zufrieden darüber, dass es ihr gut zu gehen schien, zurückziehen, als sein Blick auf den Teddy fiel, der zusammengesunken am Boden lag. Gedankenverloren hob er das Stofftier auf und trug es zum Bett. Kaum hatte die kahle Pfote Saras Hand berührt, griff sie danach und zog den stummen Trostspender an sich, als hinge ihr Leben von dieser Umarmung ab.
Endlich ging die Sonne unter. Nach einer ausgiebigen Dusche bediente er sich reichlich an seinem Blutvorrat und goss nach kurzem Zögern das spezielle Gemisch, das Estelle fast zum Verhängnis geworden war, in den Ausguss. Nebenan klopfte es. Erleichtert verließ Asher die ihn seltsam berührende Szene und nahm kurz darauf das nachgesandte Gepäck entgegen. Kaum hatte er es abgestellt, da sprang die Tür erneut auf. Manons kleine Gestalt schien den gesamten Rahmen auszufüllen. Asher blinzelte überrascht. Ihm kam es vor, als müsse er direkt ins Sonnenlicht sehen, während ihr gelber Mantel seine ganze Kraft im Licht des Appartements entwickelte. Die rote Mütze nebst passendem Schal trugen nicht zu seiner Entspannung bei.
»Hallo, mein dunkler Freund!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wo ist die Kleine?« Sie schob ihn beiseite und blickte sich überrascht um. »Ich muss schon sagen, deine Wohnung passt ausgezeichnet zu deinem neuen Outfit.« Manon pfiff leise durch die Zähne. »Ist das ein Designeranzug, den du da trägst? Vom Mauerblümchen zum Model in nur 36 Stunden. Alle Achtung, was für eine Karriere.«
»Mauerblümchen?« Als er das mutwillige Funkeln in ihren Augen bemerkte, winkte er ab. »Im Vergleich zu dir gewiss.« Staunend betrachtete er das farbenfrohe Ensemble, das nun zum Vorschein kam. Zum grünen Rock mit Sonnenblumenapplikationen trug sie gelbe Strümpfe und orangefarbene Schuhe, die gut zum Pullover passten. Manon ließ ihren rosa Koffer fallen und warf ihm den Mantel zu, der aussah, als sei er aus einem gefärbten Riesenpudel geschneidert worden. Asher schüttelte sich innerlich, aber er hängte das zottelige Ungetüm auf und stülpte ihren Hut darüber, wobei sich ein buntes Federbüschel löste und zu Boden segelte. »Was auch immer. Estelle geht es nicht besonders gut und ich möchte, dass du auf sie achtest. Sara ist in ihrem Zimmer, sie schläft.«
»Ich bin schon seit Stunden wach!«, kam es von nebenan. Die Feentochter steckte ihren Kopf durch die Tür und sah auf die Wanduhr. »So spät? Ich muss schon sagen, ihr pflegt einen ziemlich gewöhnungsbedürftigen Lebensrhythmus!«
Manon fand sie sofort sympathisch und lachte: »Das kannst du wohl laut sagen!«
»Hallo, ich bin Sara«, stellte sich die Anwältin vor. Man musste ihr zugutehalten, dass sie beim Anblick Manons keine Miene verzog. Sie
Weitere Kostenlose Bücher