Die Sternseherin
wirkte in ihrem niedlichen schottischen Kilt und einem eng anliegenden Pullover, der schon bessere Tage gesehen hatte, deutlich jünger. Allerdings war auch sie ziemlich blass und heute war kaum zu übersehen, dass sie zum Feenvolk gehörte, registrierte Asher. »Sara, das ist Manon. Estelles Mitbewohnerin.«
»Und ihre Freundin«, ergänzte diese. »Asher hat mir von dem schrecklichen Überfall erzählt und da dachte ich, ich komme einfach vorbei und vertreibe euch ein wenig die Zeit, bis die Luft wieder rein ist. Du musst dir keine Sorgen machen, hier seid ihr garantiert sicher. Wer auch immer hinter dir her ist, er würde eine Ewigkeit brauchen, um überhaupt den Eingang zu finden.« Sie warf Asher einen vorwurfsvollen Blick zu. »Ich bin dreimal daran vorbeigelaufen. Es war wie verhext.«
»Das tut mir leid!« Er musste zugeben, dass er nicht an den Zauber gedacht hatte, der über der Gasse lag, an deren Ende sich Nells Pub befand, und der jeden Fremden in die Irre führte.
»Egal, jetzt bin ich ja hier! Hast du nicht irgendetwas ungeheuer Wichtiges zu tun? Ich habe vor, einen netten Weiberabend zu verbringen, sobald Estelle endlich aus den Federn kommt.«
War das gerade ein Rausschmiss?, fragte Asher überrascht, aber Manon hatte sich schon bei Sara untergehakt. »Du musst mir unbedingt dein Zimmer zeigen«, sagte sie und die beiden gingen davon, als seien sie seit ewigen Zeiten die besten Freundinnen. Natürlich war es das, ich kann dich hier im Moment nicht gebrauchen, erklang ihre Antwort in seinem Kopf.
Asher griff nach seinem neuen Mantel und verließ kopfschüttelnd das Appartement. Wenn so seine häusliche Zukunft aussehen sollte, dann gute Nacht!
Kaum hörte Manon die Tür, kicherte sie. »Den sind wir los! Ist er nicht sexy?«
Sara überlegte. »Ich finde ihn unheimlich, er ist so ernst. Julen gefällt mir besser.« Ihre Augen strahlten bei diesen Worten und Manon wusste einen Moment lang nichts zu entgegnen, was selten genug vorkam. Die kleine Fee hatte sich in den notorischen Schwerenöter Julen verguckt, das konnte ja heiter werden!
»Ist er auch hier?«
»Es ist seltsam, er war im Pub, daran kann ich mich genau erinnern. Aber danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.« Sie schüttelte ihren Kopf so, dass der Pferdeschwanz hin und her flog. »Vor dem Einschlafen hat mir Estelle einen Schlummertrunk gegeben«, vertraute sie der erstaunten Manon an. »Ich glaube, ich hatte etwas zu viel davon.«
»Aha!« Das erklärte zwar ihre Gedächtnislücken nur unzureichend, aber womöglich hatten die Vampire beschlossen, dass sie nicht wissen sollte, was mit Julen passiert war. Manon beschloss, Estelle zu wecken und sich bei ihr zu erkundigen. Diese Gelegenheit wollte sie auch nutzen, um ihr ein längst fälliges Geständnis zu machen. »Ich habe schrecklichen Hunger.«
»Ich könnte uns etwas kochen«, bot Sara sofort an, die keine Ahnung hatte, dass die nette Frau vor ihr nicht nur ihre Gedanken lesen, sondern sie auch ohne größere Probleme beeinflussen konnte.
»Prima, derweil sehe ich nach unserem Murmeltier.«
Estelle war gerade aufgewacht und sah sie ungläubig an. »Manon?« Dann kniff sie die Augen einmal zu und fasste sich an den Kopf. »Ich habe einen solchen Schädel und jetzt sehe ich auch noch Gespenster.«
»Keine Sorge, es ist nur ein normaler Kater. Himmel, Herzchen, was habt ihr getrunken?«
»Whisky. Genauer gesagt, Ashers Single Malt. Er war aber gar nicht böse.« Sie sah sich um. »Wo ist er überhaupt?«
»Warum sollte er in deinem Schlafzimmer sein?«
Estelle lief knallrot an. »Weil er ... Ich meine, er, er hat hier halt geschlafen.«
»Mit dir!«
»Eben nicht!«
Manon wäre fast vor Neugier geplatzt und wollte unbedingt mehr erfahren. Die beiden waren füreinander geschaffen, das hatte sie schon damals gespürt, als Asher überraschend mit einer Kiste Wein zu Besuch gekommen war, nachdem er ihre Mitbewohnerin kurz zuvor kennengelernt hatte. Sein Geständnis am gestrigen Abend war keine Überraschung für sie gewesen. Natürlich hatte er nicht wörtlich zugegeben, Estelle zu lieben, aber sein Verhalten war auch so eindeutig genug gewesen.
»Er hat vorgetäuscht, zu schlafen!« Estelle hätte bei der Erinnerung an seine demütigende Zurückweisung am liebsten mit dem Fuß aufgestampft.
Manon fand, dass ihr bibliophiler Freund seine Galanterie übertrieb – oder er war einfach ein Narr. Doch wie ein solcher war er ihr trotz seines trügerisch harmlosen Äußeren in
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