Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
sich ihre Fähigkeiten zunutze machen konnte. Ihr Versuch, ihn zu lesen, war natürlich von vornherein zum Scheitern verurteilt. Aber er wusste von früheren Begegnungen mit Kindern der Lichtelfen, mit ein wenig Übung würde sie in naher Zukunft selbst Gegenständen ihr Geheimnis zu entlocken, sobald sie diese nur berührte. Verführt hätte er sie heute Nacht wahrscheinlich trotz all dieser Überlegungen, denn ihr Blut sang zu ihm auf eine ganz besonders erotische Weise. Sie war mehr als nur interessiert, das konnte er genau spüren.
    Besonders ärgerte Julen deshalb die Einmischung des Unbekannten. Von einem Nebenbuhler hatte er sich allerdings noch nie aufhalten lassen und für seinen ersten eigenen Job als Vengador konnte er jede Hilfe gebrauchen. Wenn alles gut ging, würde er der Jüngste seiner Profession werden, den es je gegeben hatte. Dank seines einzigartigen Talents nicht spürbar zu sein, durfte er beim Besten lernen. Und selbst dieser erfahrene Vampir hatte nichts von Julens »Leseschwäche«, wie er selbstironisch sein Handicap nannte, bemerkt.
    Da nun aber der Abend sowieso eine andere Wendung genommen hatte als geplant, konnte er sich genauso gut auf den eigentlichen Grund seines Hierseins konzentrieren. Julen verzog sein Gesicht bei dem Gedanken an das Gespräch, das er vor wenigen Stunden mit einem Spitzel geführt hatte. In der vergangenen Nacht war erneut ein Vampir verschwunden und ein Augenzeuge nur mit knapper Not davongekommen. Bereitwillig wollte der Spitzel seine Seele auf die Richtigkeit der Information verwetten, die er Julen für den Preis einer mit Blutkonserven gefüllten Kiste verkauft hatte. Nicht, dass irgendjemand für das bisschen schwarzer Materie Verwendung gehabt hätte, das bestenfalls noch in dem verschlagenen Kerl steckte. Der Informant lebte seit Jahrhunderten von Verrat und Betrug wie die meisten seiner Art. Das ergaunerte Blut würde er zweifellos mit Drogen strecken, bis es zu einem minderwertigen, aber sehr wirkungsvollen Gift verkommen war, und danach an frisch Transformierte weiterverkaufen, die zu unerfahren waren, selbst zu jagen. Kunden gab es ausreichend, denn nicht wenige Vampire verhielten sich gewissenlos genug und transformierten einen Sterblichen zu ihrem Vergnügen, um ihn als Sklaven zu halten, bis sie ihres Spielzeugs überdrüssig wurden und es kurzerhand dem Tageslicht preisgaben. Eine furchtbare Art zu sterben. Es gab aber auch Sklaven, die sich vor dem sicheren Sonnentod retten konnten oder denen die Flucht aus ihrer Gefangenschaft gelang. Sofern sie überlebten, endeten die meisten von ihnen als »Streuner«, als Gesetzlose, die ihre Freiheit in der Anonymität der Metropolen suchten, um zu überleben. Diese Kreaturen waren selten stark genug, die Einsamkeit ihres Daseins lange zu ertragen. Viele wurden über das Blut ihrer Beute selbst zu Abhängigen und bald gute Kunden gewissenloser Verbrecher wie Julens Informant. Er hasste diese Typen, aber er war auf sie angewiesen, weil sie ihre Augen und Ohren überall hatten. In den letzten Jahren hatte er unter Kierans Anleitung manch einen Streuner aus seinem Elend erlöst, sobald dieser – zumeist unwissentlich – eines der Gesetze des Rats brach.
    Er spuckte aus. Geschaffene Vampire! Junkies und Dealer, sie führten sich noch niederträchtiger auf als die übelsten Sterblichen. Eigentlich müsste es dem Rat gerade recht sein, dass sie plötzlich reihenweise verschwanden. Stattdessen hatte man ihn beauftragt herauszufinden, wer hinter den Entführungen steckte. Julen würde das Rätsel lösen, das hatte er sich geschworen. Ein eifersüchtiger Liebhaber konnte ihn gewiss nicht daran hindern, auch wenn er zugegebenermaßen eine lästige Störung darstellte. Er beschloss dennoch, kein Risiko einzugehen, und verschmolz mit den Schatten, die ihn umgaben, bis er sein Ziel erreicht hatte.
     
    »Wer ist diese Frau?« Julen zeigte der gebückten Gestalt, die hinter einem Regal aus der Dunkelheit auftauchte, ein Bild von Estelle.
    In Zeiten globaler Vernetzung hinkte der Rat ziemlich hinterher, fand er. Seine Quellen befanden sich in geheimen Bibliotheken über den Globus verteilt, die von so genannten »Hütern« verwaltet wurden. Hüter wurde niemand einfach so, man wurde berufen und genoss ein hohes Ansehen. Eine weitere Aufgabe dieser meist sehr alten Vampire bestand darin, zwischen Vengadoren und dem geheimnisvollen Rat zu vermitteln. Julens Kontaktperson glänzte nicht eben durch seine sympathische

Weitere Kostenlose Bücher