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Die Sternseherin

Titel: Die Sternseherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
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Metalltüren. Statt in den dahinter vermuteten Aufzug zu steigen, fand sie sich in einer U-Bahn wieder, die sie in das Hauptgebäude des Flughafens brachte, direkt vor Laufbänder, nicht für die Reisenden, sondern für deren Gepäck. Estelle sah sie sich um. »Und jetzt?«
    Asher wirkte, als erwache er aus einem langen Schlaf. Er deutete auf ein Schild: »Die Mietwagen sind dort.«
    »Keine Limousine, die auf uns wartet? Ich bin enttäuscht!«
    Ihre Begleiter hielten es nicht für nötig, zu antworten, und Estelle folgte Julen wohlwissend, dass Asher, der direkt hinter ihr ging, ihre Nackenlinie sehr genau studierte. Am liebsten hätte sie den Kragen hochgeschlagen, aber ihr Stolz verlangte etwas anderes. Kokett warf sie ihren Pferdeschwanz mit einer Kopfbewegung über die Schulter, um ihm eine freie Aussicht auf den galoppierenden Puls zu gönnen. Schon glaubte sie, seine Lippen auf ihrem Hals zu spüren, den kurzen Schmerz, wenn messerscharfe Zähne die zarte Haut verletzen, um sich an ihrem Blut zu laben.
    »Estelle?«
    Abrupt wurde sie aus ihrer Fantasiewelt geworfen und fand sich vor einem Mietwagen der Luxusklasse wieder. Eine Mitarbeiterin der Verleihfirma, jedenfalls behauptete dies ihr Namensschild, hielt ihr einen Schlüssel unter die Nase. »Sind Sie diese Marke schon einmal gefahren?«
    »Gewiss!« Eine glatte Lüge, aber so schwierig konnte der Wechsel von ihrem kugelrunden Kleinstwagen zu einer Limousine doch nicht sein. »Automatik?«, fragte sie und bemühte sich um einen blasierten Ton.
    »Selbstverständlich!« Die Frau konnte es besser.
    Estelle schnappte sich den Schlüssel und öffnete die Tür. »Auf geht’s, Jungs!« Tatsächlich ließ sich das Auto erstaunlich gut fahren. »Hat eigentlich einer von euch einen Führschein?« Sie erhielt keine Antwort und gab es auf, Konversation zu machen. Nachdem es ihr bald darauf gelungen war, sogar Asher einen Ausruf zu entlocken, der verdächtig nach erschrecktem Fauchen klang, weil sie während eines riskanten Überholmanövers in den dichten Gegenverkehr geraten war, entspannte sie sich allmählich und begann die Fahrt zu genießen. Beinahe zärtlich umfasste sie das Lenkrad, sog den Duft des edlen Leders ein und beobachtete, wie die Nadel im dezent beleuchteten Tachometer sich immer weiter nach rechts bewegte. Mit wenigen Handgriffen verband sie ihren MP3-Player mit der Musikanlage. Asher auf dem Beifahrersitz warf ihr einen fragenden Blick zu, als ausgerechnet ein Lied über Vampire und den Zauber der Dunkelheit erklang. Im Rückspiegel sah sie Julen das erste Mal an diesem Tag lächeln und sie drehte den Regler weiter auf. So glitten sie begleitet von britischer Popmusik durch die Nacht und Estelle genoss es, endlich einmal etwas besser zu beherrschen als ihre beiden Begleiter. Und die Götter wussten, dass sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die schlechteste Autofahrerin westlich des Urals war.
    Der Blinker war schon gesetzt, als Asher plötzlich aus seiner Trance zu erwachen schien und in die entgegengesetzte Richtung wies. »Wir müssen dort abbiegen.« Sie folgte seinen Anweisungen und war schließlich überzeugt, mindestens dreimal im Kreis gefahren zu sein, als ein eisernes Tor plötzlich den Weg versperrte.
    »Wartet hier!« Mit diesen Worten verschwand ihr Beifahrer und Julen nahm seinen Platz ein. Kurz darauf öffnete sich das Gitter. Sie folgte der schmalen Fahrspur, die nicht danach aussah, als ob sie häufig benutzt wurde. Wurzeln und Schlaglöcher zwangen zum Schritttempo und ließen das Scheinwerferlicht unruhig durchs Unterholz tanzen, bis ein Cottage sichtbar wurde. Asher stand von Kerzen beleuchtet im Türrahmen. Irgendwie gelang es ihm, wie ein altertümlicher Fürst der Finsternis zu wirken, der seit Jahrhunderten auf den Moment gelauert hatte, bis sich endlich sterbliche Opfer in seinem komplizierten Spinnennetz verfingen. Nur dass Julen kein Sterblicher war und sich absolut nicht beeindruckt zeigte. »Nette Inszenierung! Wo genau sind wir jetzt?«
    »Cambridgeshire.«
    »Ach was!« Julen verdrehte die Augen, dann sah er Estelles gerunzelte Stirn und erklärte: »Es gibt viele Gerüchte um dieses Haus, nur eines ist sicher: Niemand hat je versucht es zu kaufen, um darin zu leben. Es ist ein Geisterhaus.«
    »Für mich sieht es ganz gut in Schuss aus.« Estelle sah sich um.
    »Kannst du sie nicht spüren?« Julen senkte seine Stimme. »Geister! Sie machen das Gemäuer unsicher und wahren Geheimnisse jenseits unserer

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